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Nur 2800 Wohnheimzimmer für 120.000 Studierende gibt es in Rom.

© picture alliance / ZUMAPRESS.com/Cecilia Fabiano

Zelt statt Zimmer: Italiens Studenten finden keinen Platz zum Schlafen

Wohnungsnot wird auch in Italien zu einem immer größeren Problem: Viele können sich die Mieten nicht mehr leisten – während die Mafia städtische Sozialwohnungen vermietet.

„Es ist das erste Mal überhaupt, dass ich in Rom übernachtet habe“, sagt der Geschichtsstudent Damiano Carbonari. Geschlafen hat er nicht in seinem Bett, sondern in einem Zelt, das er vor dem Hauptgebäude der Sapienza-Universität aufgestellt hat – eine Protestaktion, die sich dieser Tage auf viele andere Städte Italiens ausgeweitet hat.

Der 20-jährige Carbonari aus der Hafenstadt Civitavecchia ist seit letztem Herbst an der prestigereichen Römer Uni eingeschrieben. Seither sucht er in der Ewigen Stadt ein Zimmer, denn der Weg von seinem Wohnort bis zur Universität dauert alles in allem etwa eineinhalb Stunden.

Bisher war seine Suche vergeblich: „Ein Zimmer in einem Quartier in der Nähe der Sapienza, zum Beispiel San Lorenzo oder Piazza Bologna, kostet locker 600 bis 700 Euro pro Monat – und wir reden hier, wie gesagt, von einem Zimmer, nicht von einer Wohnung“, betont Carbonari. Das könne er sich nicht leisten.

2.800 Wohnheimzimmer für 120.000 Studierende

Tatsächlich ist insbesondere das San-Lorenzo-Quartier, wo sich die meisten Fakultäten der Sapienza befinden, seit einigen Jahren zu einem angesagten Kultur- und Ausgehviertel geworden; die Mieten und die Kaufpreise haben sich vervielfacht.

Das Gleiche gilt auch für andere, weiter entfernt liegende Quartiere, wo noch bis vor wenigen Jahren auch Studierende eine kleine Wohnung oder ein Zimmer finanzieren konnten, etwa für San Giovanni und neuerdings auch für den Pineto. Immer mehr junge Italienerinnen und Italiener müssen nun, wollen sie in Rom studieren, weite Wege von zu Hause in Kauf nehmen.

Allein an der Sapienza-Universität sind ein Drittel aller Studierenden wegen des nicht vorhandenen günstigen Wohnraums zum Pendeln gezwungen – immerhin 40.000 Personen. In staatlichen Studentenheimen stehen in Rom gerade einmal 2.800 Plätze für 120.000 Studierende zur Verfügung.

Ein Zimmer kostet locker 600 bis 700 Euro pro Monat – und wir reden hier, wie gesagt, von einem Zimmer, nicht von einer Wohnung.

 Damiano Carbonari, Geschichtsstudent an der Sapienza-Universität in Rom

Ausgelöst wurde die Protestwelle mit den Zelten vor den Universitäten von der 23-jährigen Ilaria Lamera aus Bergamo, die am Politecnico von Mailand Umweltwissenschaften studiert. Ihr Zelt vor dem Hauptgebäude des Politechnikums wurde schnell von Reportern und TV-Teams umlagert; der Protest hat sich dann umgehend nach Rom und auch nach Florenz ausgebreitet, wo vor den Unis regelrechte Campingplätze entstanden.

Die Bildungsministerin der Rechtsregierung von Giorgia Meloni, Anna Maria Bernini, zeigte sich offen für die Forderung der Studierenden und hat erklärt, dass die Regierung bereits 400 Millionen Euro zur Verfügung gestellt habe, mit denen 14.000 neue Plätze geschaffen werden sollen.

Außerdem erinnerte sie daran, dass im Rahmen des von der EU mitfinanzierten nationalen Wiederaufbauplan bis 2026 die Schaffung von weiteren 60.000 Plätzen geplant sei.

Auch Familien und Singles sind betroffen

Ob diese angesichts der großen Schwierigkeiten der Regierung bei der Umsetzung des Wiederaufbauplans tatsächlich realisiert werden, muss sich erst noch weisen. Und vor allem betrifft der Mangel an bezahlbarem Wohnraum nicht nur Studierende, sondern auch Zehntausende von einkommensschwachen Familien und Einzelpersonen.

Zwar leben in Italien, wo der Anteil an Wohneigentum mit über 70 Prozent im internationalen Vergleich sehr hoch ist, noch ein großer Teil der Einwohner in Wohnungen, die sie selbst besitzen. Aber wer heute eine Wohnung neu mieten oder eigenes Wohneigentum erwerben will, sieht sich insbesondere in den Städten mit horrenden Preisen und nun auch wieder hohen Zinsen konfrontiert.

46.000
Sozialwohnungen gibt es in Rom

In Rom und in Mailand ist es für einen Geringverdiener praktisch aussichtslos geworden, eine günstige Wohnung zu finden. Entsprechend lang sind die Wartelisten für Sozialwohnungen.

Allein in Rom warten 14.000 Personen auf die Zuteilung einer städtischen Wohnung, weitere 15.000 Familien, die eine Privatwohnung mieten, sind mit einem Räumungsbeschluss konfrontiert und damit ebenfalls potenzielle Anwärter für eine Sozialwohnung.

Mafia vermietet städtische Sozialwohnungen

Im Unterschied etwa zu Deutschland, wo Sozialwohnungen in den letzten Jahren an Private verkauft wurden, besteht in Rom aber grundsätzlich kein Mangel an öffentlichem Wohnraum: Die städtische Liegenschaftsverwaltung „Ater“ verfügt über 46.000 Sozialwohnungen.

Das Problem ist ein anderes: Wegen des seit Jahrzehnten anhaltenden Schlendrians der Verwaltung sind nur noch ein Drittel der Sozialwohnungen von Leuten bewohnt, die auch tatsächlich ein Recht darauf haben und ihre Miete regelmäßig bezahlen.

8000 Sozialwohnungen sind zudem besetzt, oft seit Jahren. Unter anderem auch von stadtbekannten Mafiosi wie Roberto Spada vom gleichnamigen Clan in Ostia: Nach der Verbüßung einer sechsjährigen Freiheitsstrafe ist er unlängst vom Gefängnis wieder in „seine“ Wohnung in Ostia zurückgekehrt – eine Sozialwohnung, die er seit sechzehn Jahren besetzt, ohne dass die städtische Liegenschaftsverwaltung dies bemerkt haben will.

Ein Kompagnon von Spada hat, wie sich bei der Gelegenheit herausgestellt hat, nicht weniger als 90 städtische Sozialwohnungen „vermietet“ – als wären es seine eigenen.

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