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Fahrije Hoti (Yllka Gashi) sucht seit Jahren nach ihrem verschleppten Mann.

© Foto: Jip Film & Verleih

Kosovo-Drama „Hive“ im Kino: In jeder Ritze der Tod

„Hive“ erzählt von den Folgen des Kosovo-Krieges – und einer Frau, die nicht aufgibt. Blerta Bashollis Drama basiert auf einer wahren Geschichte.

Das Gesicht füllt die Leinwand aus, ungeschminkt, natürlich. Die Haare zum Zopf gebunden, die Augenbrauen leicht zusammengezogen. Fahrije (Yllka Gashi) sucht in der dreiminütigen Eröffnungssequenz von Blerta Bashollis „Hive“ nach den Überresten ihres Mannes: in einem provisorischen Zelt auf der Wiese, auf der Ladefläche eines Lasters, auf dem die weißen Säcke liegen. Ohne Schnitt bleibt die Handkamera bei ihr, fängt die subtilen Regungen auf ihrem Gesicht ein. Da ist Entschlossenheit im Blick der Frau, innerer Aufruhr. Verbitterung.

Der Kosovo-Krieg liegt in „Hive“ sieben Jahre zurück, doch noch immer bringen UN-Mitarbeiter:innen neue Lastwagenladungen mit Leichen nach Krushë e Madhe. Das Dorf ist bekannt geworden durch ein Massaker, das serbische Paramilitärs 1999 an der kosovo-albanischen Bevölkerung verübt haben. Mehr als 240 Menschen sind hier erschossen oder verschleppt worden. Manche der Angehörigen warten Jahre später noch auf ihre Rückkehr. Fahrije Hoti ist eine von ihnen. „Hive“ basiert auf ihrer Geschichte.

Die Regisseurin ist als Jugendliche vor dem Krieg im Kosovo geflohen

Blerta Basholli, Jahrgang 1983, wurde auf die Hoti aufmerksam, als sie in New York Film studierte. Sie sah einen Fernsehbericht über eine Frau, die sich in Bashollis Heimat, dem Kosovo, gegen die tradierten Geschlechterrollen auflehnte und Unternehmerin wurde. Der jungen Regisseurin, als Jugendliche selbst vor dem Krieg geflohen, ist klar: Sie soll das Thema ihres ersten Filmes sein. Nach dem Studium zieht sie zurück in den Kosovo, überzeugt Hoti von ihrem Vorhaben, schreibt ein Drehbuch und dreht in einem Nachbardorf von Krushë e Madhe.

Der Ort selbst wurde im Krieg komplett zerstört. Das Kriegsgeschehen rückt in „Hive“ zwar nie direkt ins Bild, dennoch ist es durchweg präsent wie Schatten, die in den Rissen der maroden Häuser lauern. Basholli interessiert sich jedoch weniger für Vergangenes als dafür, wie sich die Protagonistin eine Zukunft erkämpft.

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Fahrije imkert, doch die Bienen geben immer weniger Honig. Sie hilft im Frauenbund, der den Witwen und jenen, die immer noch auf Trost – oder bittere Gewissheit – hoffen, eine Unterstützung zukommen lässt. Genug zum Leben ist es nicht. Und die Frauen sind zur Untätigkeit verdammt: Die Kosovo-Albanerinnen leben nach streng ausgelegter muslimischer Tradition, nach der eine Frau daheim zu arbeiten hat.

Fahrije ist in einer Welt zu Hause, in der es schon als Affront gilt, wenn sie einen Führerschein macht. Dass sie die übrigen Witwen zur Selbstständigkeit ermutigt, mit ihnen die Paprikapaste Ajvar kocht, um sie in einem Supermarkt im 80 Kilometer entfernten Pristina zu verkaufen, das ist bereits eine Ungeheuerlichkeit. Aber nicht nur die Männer leisten Gegenwehr, zunächst auch die Frauen selbst. Dabei ist Fahrijes Emanzipation ein reiner Akt der Notwendigkeit: Ohne Mann, dafür mit zwei Kindern und dem gebrechlichen Schwiegervater (Çun Lajçi) daheim, bleibt ihr keine andere Wahl, als sich selbst eine Perspektive zu erwirtschaften.

In „Hive“ entwickeln schon kleine Gesten eine große Wucht. Yllka Gashi, im Kosovo ein Fernsehstar, spielt Fahrije konzentriert und zurückgenommen. Ihre Figur bleibt das Kraftzentrum, nach außen wirkt sie unerschütterlich. Doch wenn sie allein unter der Dusche steht, trifft sie der Schmerz wie ein Schlag.

Die Frauen von Krushë e Madhe geben die Hoffnung nicht auf.

© Foto: Jip Film & Verleih

Gleichzeitig lässt Basholli genug Raum, damit auch die übrigen Frauen des Dorfes Profil gewinnen. Das Ensemble agiert ungefiltert und kraftvoll, sodass „Hive“ von Beginn an eine ungemeine Intensität entwickelt. Diesen Eindruck verstärkt Bashollis präzise Inszenierung noch. Sie lässt sogar Momente von zarter Komik zu, in die jedoch schnell wieder die Realität hereinbricht – als Schimpfwörter, die die Männer den Witwen auf der Straße entgegenschleudern, oder in Form eines Ziegelsteins, der das Rückfenster von Fahrijes Autos durchschlägt.

(In sieben Berliner Kinos, OmU)

In gewisser Weise ist „Hive“ ein Komplementärfilm zu „Quo Vadis, Aida?“. Wo dessen Regisseurin Jasmila Žbanic den historischen Schrecken aus dem bosnischen Srebrenica unmittelbar ins Bild rückt, befasst sich „Hive“, der auf dem Sundance Festival drei Preise gewann, mit den Folgen der Kriegsverbrechen im Kosovo. Aber Bashollis Film ist auch ein feministisches Manifest, in seiner differenzierten Auseinandersetzung mit Tradition und patriarchaler Ordnung noch immer aktuell.

Und dann erzählt „Hive“ auch den Beginn einer Erfolgsgeschichte. Fahrije Hotis Unternehmen expandierte, heute verkauft sie kosovarische Lebensmittel nach ganz Europa; demnächst auch in die USA. Gleichzeitig hofft sie noch immer darauf, dass ihr Mann nach Hause kommt – 23 Jahre nach dem Massaker von Krushë e Madhe.

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