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Mareike Beykirch und Jurek Lane Mio Südhoff in der Uraufführung von „Baracke“.

© imago/Martin Müller/IMAGO/MARTIN MÜLLER

Alle Gewalt geht von der Familie aus: Rainald Goetz am Deutschen Theater Berlin

Claudia Bossard hat mit der Uraufführung von „Baracke“ der neuen Intendanz unter Iris Laufenberg endlich einen Erfolg verschafft

„Kennst du das?“, beginnt Ramin in frisch verliebter Zugewandtheit ein Gespräch mit Bea und spielt dabei auf ein Gefühl an, das er mit ihr zu teilen glaubt. Die beiden sind erst seit Kurzem zusammen. Sie befinden sich in jenem Stadium der Paarwerdung, in dem die Hauptfunktion der Kommunikation in der gegenseitigen Versicherung unerschütterlicher Gemeinsamkeit liegt. Aber Bea verweigert sich: Sie könne es nicht mehr hören, „dieses blöde Kennst-du-das“. Bea will vom Leben gar nichts, was man schon kennt und mitzuschleppen fürchtet von denen, die es vor einem schon so fürchterlich falsch gemacht haben. Und als Ramin leicht verschreckt einlenkt – gut, dann werde er „Kennst du das?“ eben nicht mehr sagen –, versetzt Bea ihm den K.-o.-Schlag: „Es geht nicht ums Sagen, es geht um die debile Haltung dahinter.“

Man muss keine Prophetin sein, um vorherzusagen, dass diese Beziehung wenige Szenen später nicht mehr existieren wird. Die deutlich größere Herausforderung läge in der Beantwortung der Frage, mit wem und unter welchen Bedingungen sie denn überhaupt funktionieren könnte, diese Paarwerdung in einer friedlichen Verlaufsform. „Alle Gewalt geht von der Familie aus“, heißt es in Rainald Goetz` neuem Stück „Baracke“, das Claudia Bossard jetzt im Deutschen Theater Berlin zur Uraufführung gebracht hat. Und man darf diesen Satz durchaus als Kernthese des Abends betrachten.  

In seinem letzten Theaterstück „Reich des Todes“, das Karin Beier 2021 am Hamburger Schauspielhaus urinszenierte, hatte Goetz ausgehend von den Anschlägen des 11. September 2001 auf das New Yorker World Trade Center und die Reaktionen der US-amerikanischen Politik ebenenreich die weltpolitische Lage durchbuchstabiert. Jetzt, in „Baracke“, entwickelt er seine Analyse von Hass und Terror aus der berühmten kleinsten Keimzelle der Gesellschaft. Wenn Bea nach Ramin mit Uwe (Janek Maudrich) zusammenkommt, einem anderen Mitglied einer thüringischen Jugendclique der 1990er Jahre, führt eine Spur aus dieser Keimzelle direkt zu den rechtsradikalen Terrorakten des NSU.

Eine unterschwellig brutale Ehe

Aber natürlich geht es in „Baracke“ weder um die konkreten Tatbestände noch um geschichtstreue Rekonstruktionen oder monokausale Herleitungsketten. Auch wenn sich die Bea-Uwe-Geschichte als Folie durchzieht – die beiden bekommen hier Kinder, führen eine von Gewaltausbrüchen durchsetzte Ehe und erwarten uns zum Finale in einer gutbürgerlichen Villa auf dem Dresdner Weißen Hirsch –, umkreist Rainald Goetz sein Thema gewohntermaßen mit verschiedenartigsten Diskursen. In oberflächlich banal wirkenden Kommunikationsmodi deckt er Brutalitäten auf, schält aus scheinbar Dahingesagtem das Bösegemeinte heraus und switcht dabei vom Dialog in die Textfläche und von der Gegenstands- auf die Metaebene („Auf den Gedanken kam ich durch ein Luhmann-Interview, genau, mal wieder Luhmann“).  

Bea – von Mareike Beykirch furios als junge Frau gespielt, die ihr frühjugendliches Alles-vom-Leben-Wollen unter einer gut sitzenden Coolness-Maske verbirgt – und Ramin, den Jeremy Mockridge als großartig verständniswilligen Beziehungsaufarbeiter im Schlabberwollpullover gibt, befinden sich während ihres „Kennst du das“-Dialogs nicht umsonst in einem „Museum des 21. Jahrhunderts“. Regisseurin Claudia Bossard macht diese Fährte zum Konzept ihrer Inszenierung und entgrenzt zudem die Zeitspanne: Nach dem Motto „Die Epochen kommen und gehen, der deprimierende Kern bleibt“ stellt sie Bea und Uwe mit Natali Seelig und Andri Schenardi ein Paar in Reifrock und Anzug aus dem 19. Jahrhundert zur Seite, das vor dem inneren Publikumsauge ähnlich beklemmende Szenen einer Gewaltehe auferstehen lässt.

Überhaupt hat in so einem Museum, das Elisabeth Weiß entsprechend als Schaukastenarrangement auf die Drehbühne gebaut hat, alles Mögliche Platz: Wo das gesammelte Familienelend bei Goetz mal treffsicher zu einem Rewe-Einkaufszettel zusammenschnurrt, gibt’s eine popartaffine Schokoriegel-Kostüm-Parade auf der Bühne. Sogar der Autor höchstselbst findet sich hier unter den kulturdiskursiven Ikonen wieder: Nach erfolgreicher Absolvierung einer grandiosen Leben-mit-Kindern-Litanei zitiert Frieder Langenberger Goetz‘ berühmten Klagenfurter Rasierklingenschnitt von 1983.  

Hineingelauscht und angeeignet

Bemerkenswert, wie genau Claudia Bossard und das DT-Ensemble in diesen Goetz-Text hineingelauscht und ihn sich gleichzeitig auf eine ganz eigene Weise angeeignet haben! Wenn nach 140 pausenlosen Minuten der Beifall losbricht, fällt in Reihe fünf ein besonders enthusiastischer Klatscher auf – und springt zum Schlussapplaus auf die Bühne vor: Ein strahlender Rainald Goetz verbeugt sich da an der Rampe – inmitten eines nicht minder beglückten Ensembles. Es war, nach dem Eröffnungsflop mit „Weltall Erde Mensch“, die zweite Premiere unter der neuen Intendanz von Iris Laufenberg auf der großen DT-Bühne – und der erste Treffer.

Wieder am 26.9. sowie 1., 8., 13. und 19.10.

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