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Pergamonmuseum: Als die Götter bunt geworden

Von wegen edle Einfalt, stille Größe: Eine Ausstellung im Pergamonmuseum weist die Farbigkeit antiker Skulptur nach.

Wenn selbst der Archäologe Vinzenz Brinkmann das Wort „leider“ benutzt, will das etwas heißen. Zeigt es doch, wie sehr wir ästhetisch-kulturell geprägt sind. Bei der Eröffnung der Ausstellung „Bunte Götter“ im Pergamonmuseum erklärte der Wissenschaftler, er und sein Forschungsteam hätten ja lange die Hoffnung in sich getragen, dass die Griechen wenigstens für die antiken Frauenfiguren mit den glatt polierten Marmorgesichtern eine lasierende Farbe aus Hautton gewählt hätten. Aber – leider – seien sie darin nicht bestätigt worden. Auch sie waren wie die männlichen Skulpturen mit kräftigen, deckenden Farben bemalt.

Brinkmann, Leiter der Antikensammlung des Liebighauses in Frankfurt am Main, forscht seit dreißig Jahren über die einstige Farbigkeit antiker Marmorskulpturen. Vielleicht spricht aus dem Experten weniger die Enttäuschung darüber, dass wir uns endgültig von unseren Vorstellungen über griechische Kunst verabschieden müssen. Vielleicht ist es eher als Entschuldigung gedacht. Denn die erste Begegnung mit den grellen Rekonstruktionen schockiert. Da gerät das Image der alten Griechen ins Wanken, die ästhetische Sehgewohnheit, ein ganzes Geschichtsbild.

2003 wurde die jetzt in Berlin präsentierte Ausstellung das erste Mal in der Glyptothek in München gezeigt. Seitdem tourt sie durch Deutschland und die Welt. Jedes Mal verändert sie sich ein bisschen, repräsentiert den neuesten Stand der Forschung. Im Pergamonmuseum wurde nun einige besonders reizvolle Gegenüberstellungen von Rekonstruktionen und Originalen gewagt. Schräg hinter der sogenannten Berliner Göttin aus der Sammlung der Staatlichen Museen befindet sich die rekonstruierte Phrasikleia-Skulptur. Das Original steht im Nationalmuseum in Athen. Beide sind Grabfiguren aus der Mitte des 6. Jahrhunderts vor Christus. Die Berliner Göttin wird zurzeit auf letzte Spuren von Bemalungen und Einritzungen untersucht, mit denen die Künstler die teilweise reichen Ornamente vorzeichneten. Sie könnte ausgesehen haben wie Phrasikleia: glänzend lackierte, rosafarbene Haut und schwarze Pupillen, kräftig geschminkter Mund, dunkelbraune Haare und ein leuchtendes Gewand in Rot-Ocker mit Blumen im Edelmetall. Die Ausstellung in den drei Räumen des Nordflügels ist zugleich eine Abschiedsvorstellung für die griechischen Skulpturen der Staatlichen Museen zu Berlin im Pergamonmuseum. Nach 52 Jahren an Ort und Stelle ziehen sie demnächst um. Ab Januar werden sie im Hauptgeschoss des Alten Museums zu sehen sein.

Als Brinkmann zu forschen begann, da stellten sich die Forscher nicht so sehr die Frage, ob die Skulpturen farbig waren oder nicht. Die Wissenschaft wusste schon immer, sagt der Archäologe, dass die griechische Welt bunt war. Die Frage lautete eher: Wie genau sah sie aus? Ein Perserreiter, der auf der Athener Akropolis gefunden wurde, trägt eine Hose mit kleinen Rauten in klarem Rot, Gelb, Blau und Grün, sein Pferd hat eine rot-grün gezackter Mähne. Auf einer Hinweistafel daneben steht, die Rekonstruktion bestehe aus „ausschließlich naturwissenschaftlich gewonnenen Ergebnissen“. Mit Mikroskopie, Fotografie in ultraviolettem Licht und computergesteuerten Farbskalenauswertungen. Offensichtlich kennen die Ausstellungsmacher die zweifelnden Blicke angesichts dieser clownesken Erscheinung.

Die Skulpturen standen im öffentlichen Raum, eine Giebelfigur musste vom antiken Betrachter noch aus dreißig Meter Entfernung als typischer Perser zu erkennen sein. Das Forscherteam um Brinkmann vertritt die These, dass die Figuren ohne das Wissen über die ursprüngliche Bemalung heute nicht mehr zu uns sprechen können. Weil ihnen wesentliche Codes, kleine Zeichen fehlen.

Und eine weitere These präsentiert sich hier in Berlin zum ersten Mal: Ausgerechnet Johann Joachim Winckelmann, der Mann, der mit seiner Formel von der edlen Einfalt und stillen Größe die Weimarer Klassik prägte, soll erkannt haben, dass die Antike bunt war. Winckelmann hatte in Pompeji eine kleine Artemisstatue entdeckt, er beschreibt sie 1764 in seiner „Geschichte der Kunst des Alterthums“ und nennt sie als Beleg für die Polychromie. Erst Goethe und sein Umfeld sollen aus Winckelmann den Verfechter des weißen Marmors gemacht haben.

Schon bei den antiken Dichtern lassen sich Hinweise auf die bunten Götter finden. Plinius erzählt in einer Anekdote über den Bildhauer Praxiteles im 4. Jahrhundert vor Christus, dass dieser von seinen eigenen Werken am meisten jene schätzte, die von dem Künstler Nikias bemalt wurden. Und Euripides lässt die unheilvoll schöne Helena darüber klagen, dass sie gerne so hässlich wäre wie eine Statue, der die Farbe abgewischt wurde.

Pergamonmuseum, Museumsinsel, Am Kupfergraben 5, bis 3. Oktober; Mo–So 10–18 Uhr, Do 10–22 Uhr

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