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Die amerikanische Schriftstellerin Tayari Jones, 49

© Nina Subin/Verlag

Tayari Jones' Familienroman "Das zweitbeste Leben": Amerikanische Verhältnisse

Ein Mann heiratet zwei Familien: Tayari Jones' intensiver und ergreifender Roman "Das zweitbeste Leben".

Tayari Jones gilt als eine der wichtigsten amerikanischen Autorinnen ihrer Generation und wird seit einigen Jahren in höchsten Tönen für ihre Romane gepriesen. Jubelnd zitiert ihr deutscher Verlag die bewundernden Sätze der großen Literaturkritiker Oprah Winfrey, Barack Obama und Bill Gates (sic).

Aber auch die „New York Times“ begeistert sich für ihre Romane und nennt sie weise und mitfühlend. So begibt man sich voll froher Erwartung hinein in die verwirrende und flirrende Welt der Liebes- und Familienverhältnisse, die kompliziert und immens beschwert sind, weil eingebettet in eine immer wieder rassistisch agierende Gesellschaft.

In dem preisgekrönten Roman „An American Marriage“ wird der Ehemann einer jungen Frau wegen Vergewaltigung angeklagt und verurteilt. Obgleich er in der fraglichen Nacht bei seiner Frau gelegen hat. Aber er ist schwarz. Und schwarze Männer, das weiß man doch, und natürlich wussten es auch die Geschworenen, sind immer latent kriminell und von sexueller Aggression getrieben. Also ist er schuldig.

Eine leider typische Geschichte aus dem schwarzen Alltag im (noch) überwiegend weißen Amerika. Die Black-Lives-Matter-Bewegung ist auch wegen solcher Erfahrungen entstanden.

Jones’ Roman erzählt die Geschichte des jungen Paares, das nach einer kurzen Ehe eine lange Inhaftierung des Mannes ertragen muss. Sein Leben steht still, ihres geht weiter. Einsamkeit, Verzweiflung, Verantwortung und Verrat wüten in den Seelen der Protagonisten und verletzen beide. Das Buch packt einen mit der Wucht der vielfältig explodierenden Gefühle.

Diesen Roman hat Jones' vor ihrem Erfolgsroman "An american marriage" verfasst

Nach dem großen Erfolg von „In guten wie in schlechten Tagen“ – so der deutsche Titel - gibt es nun einen weiteren Roman von Jones, der in den USA schon 2011 veröffentlicht wurde, "Das zweitbeste Leben". (Aus dem amerikanischen Englisch von Britt Somann-Jung, Arche Verlag, Zürich 2020 352 Seiten, 22 €.)
Wieder ist die Liebe kompliziert. Ein Mann hat – seitdem er 15 ist – eine Gattin. Er war anständig genug, sie zu heiraten, als sie ein Kind erwartete. Oder sagen wir, er hatte keine Wahl, weil seine Großmutter darauf bestand. Aber irgendwann wird ihm die Chose doch etwas eintönig, und auf der Suche nach einem zweiten Ton für sein Leben findet er Gwendolyn. Eine schöne Frau, die sich tatsächlich einlässt mit ihm und fast zur selben Zeit eine Tochter zur Welt bringt wie seine Frau Gemahlin.

Der erste Satz des Buches erklärt unumwunden die Verhältnisse: „Mein Vater, James Witherspoon, ist ein Bigamist. Er war schon zehn Jahre verheiratet, als er meiner Mutter zum ersten Mal begegnete.“

Es spricht die zürnende Tochter, inzwischen ein Teenager. Zwar hat Witherspoon auch seine Geliebte geheiratet, aber er ist kein schlüpfriger Gesell, sondern ein rechtschaffener, fast biederer Mann, der Verantwortung übernimmt und nun seit 14, 15 Jahren jeden Mittwochabend zur Zweitfamilie zum Essen kommt und brav auch für diese Tochter zahlt. Nur wissen darf es keiner. Du bist ein Geheimnis erklärt er schon der Fünfjährigen.

Aber, beruhigt die Mutter das Kind, wir wissen alles, wir wissen von seiner Frau, seinem Kind – und die wissen nichts, wissen gar nichts von uns. Als sei das ein Tost oder jedenfalls ein kleiner Triumph. Manchmal machen sich Gwendolyn und Dana auf den Weg, um die Erstfamilie zu beobachten. Dann stehen sie vor der Schule oder vor dem Schönheitssalon der Erstfrau und schauen und freuen sich, wie vergleichsweise dick und hässlich die Konkurrentinnen sind.

Jones kann Plots entwickeln und Geschichten erfinden

Aber in Dana wächst der Neid auf die andere, die den Daddy richtig hat, wächst die Sehnsucht nach einer Schwester, wächst die Wut, dass immer sie zurückstecken muss. Einmal hat sie sich einen Ferienjob besorgt.

Doch als der gemeinsame Vater der Mädchen feststellt, dass auch seine „öffentliche“ Tochter dort arbeiten wird, muss Dana den Job absagen. Zum Glück entlockt ihre Mutter dem Mann genügend Geld, damit sie Ferienkurse besuchen kann als Ausgleich für den Verzicht.

Eines Tages lernen die Mädchen sich kennen. Allerdings nicht ohne Zutun von Dana, die sich in einer Mischung aus zerstörerischer Lust und sehnsuchtsvoller Einsamkeit der Schwester nähert. Getrieben auch von der Gier, das richtige Leben ihres Daddys zu erforschen, schleicht sie sich geschickt ins Haus der Schwester: stets auf dem Sprung, falls der Vater auftaucht, stets geplagt von der Angst, als die entdeckt zu werden, die sie wirklich ist.

Tayari Jones ist keine elegante Stilistin. Sie schreibt keine Sätze, die man unterkringelt und sinnend mit sich trägt durch den Tag. Literarisch fehlt die Provokation des Unvorhersehbaren, fehlen überraschende Bilder. Ob all der Bodenständigkeit der Erzählung bleibt die Poesie meist auf der Strecke. Aber Jones kann Plots entwickeln, Geschichten erfinden, Menschen erzählen und eine Intensität herstellen, die ergreift und bannt. Sie kann der Ambiguität von überreizten Gefühlen bis in die kleinsten Verästelungen nachspüren, indem sie tanzt auf den Nervenbahnen ihrer Protagonisten – und dann tanzen wir dort mit ihr.

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Wie im vorigen Roman erzählen auch hier die Beteiligten ihre Sicht auf dieselbe Geschichte. Beide Schwestern kommen zu Wort. Als ob es der Autorin ein Anliegen sei, beiden Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Und uns den Blick zu weiten auf beide Perspektiven, damit wir nur ja nicht vorschnell urteilen und gar Partei ergreifen.

Was auch kaum möglich ist. Denn die heimliche und die öffentliche Familie haben ja beide ihren berechtigten Anspruch auf Anerkennung – und das nicht nur in Mr. Witherspoons Leben. Wir lesen ein Drama ohne abgefeimte Schurken. Allein das macht die Kunst aus, mit der Tayari Jones zu schreiben versteht über das Leben in seinem immer wieder unübersichtlichen Schlingerkurs. Und genau das interessiert diese Autorin: Wie gehen Menschen um mit Herausforderungen, mit Brüskierung, Mangel oder Bedrohung. Wie verändern sie sich mit dem, was ihnen abverlangt wird, wie gestalten sie das, was Leben fast immer ausmacht, den ganz normalen Wahnsinn.

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