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Szene aus „Pique Dame“ mit John Lundgren (Graf Tomskij) und Evelyn Herlitzius (Gräfin).

© Semperoper Dresden/Ludwig Olah

Andreas Dresens Debüt an der Semperoper: Ausbruch aus der gedrillten Masse

Nicht zu kurz gesprungen. Filmregisseur Andreas Dresen debütiert an der Semperoper Dresden mit Peter Tschaikowskis „Pique Dame“.

Nur drei Karten sind es, die endlich Glück verheißen: Glück für den unbedeutenden Offizier Hermann, der nicht nur auf Reichtum, sondern vor allem auf soziale Anerkennung im zaristischen Petersburg aus ist. Ob er das Spielglück sucht, um seine adelige Angebetete Lisa zu gewinnen, oder ob es (wie in Puschkins Vorlage) umgekehrt ist – die Frage lässt Peter Tschaikowsky in seiner selbsternannt besten Oper „Pique Dame“ offen.

Die episodische Erzählung, die große Szenen und psychologisierendes Kammerspiel meisterhaft miteinander verschränkt, ist eigentlich schon wie ein Film konzipiert. Damit kennt sich Andreas Dresen aus, der nicht zum ersten Mal eine Oper inszeniert, aber doch im Semperbau debütiert. Weil er hier räumlich nicht nahe an die Figuren herankommt, abstrahiert er das Bühnengeschehen und hat auf der mehrfach in sich drehbaren Bühne von Mathias Fischer-Dieskau ein nüchternes Wände-Labyrinth bauen lassen, das für den Protagonisten Hermann einerseits die Barriere auf dem Irrweg in die „bessere“ Gesellschaft bildet, andererseits auch seinen Spielwahn und die daraus resultierende geistige Störung versinnbildlichen soll.

Diese Nüchternheit setzt allerdings sehr viel Vorkenntnis des Stücks voraus, um die Zusammenhänge und auch die Zwischentöne zu verstehen. Damit gehen bei aller Konzentration auf den Konflikt zwischen reglementierter Masse und individueller Glückssuche einige interessante Aspekte von Tschaikowskis durchaus differenziertem Gesellschaftsporträt verloren. So wirkt zwar alles in sich logisch, aber auch ein bisschen fad.

Dabei springt Dresen nicht kurz: Aktuelle Assoziationen zu vermeintlich despotisch verwalteten Gemeinschaften verbietet er sich, aber sie schwingen trotzdem mit und machen die Inszenierung insofern recht vorhersehbar. An einer Stelle überrascht Dresen mit der Übertragung der sonst gern gestrichenen Schäferszene an die Hauptprotagonisten, was als „Spiel im Spiel“ einen gelungenen spiegelnden Akzent setzt.

Auserzählt in der ersten Minute

Dagegen wirkt das Bild einer uniformierten Gesellschaft in Gestalt aller Chöre (Kostüme: Judith Adam) schon in den ersten Minuten auserzählt, zieht sich aber drei Stunden hin, und so muss sich Dresen ganz auf seine Sängerdarsteller verlassen, die aus der gedrillten Masse ausbrechen.

Überzeugende Mitstreiter findet er nicht nur in der umwerfenden Vida Mikneviciute als Lisa, sondern vor allem auch in Evelyn Herlitzius. Sie versagt ihrer Gräfin zwar nicht den Nimbus des boshaften alten Weibes, lässt aber auch auf wunderbare Weise die Einsamkeit ihrer Figur durchscheinen. Auch Sergey Polyakov gibt sich sehr überzeugend Hermanns galoppierendem Wahnsinn hin, bleibt dafür allerdings musikalisch seltsam undifferenziert. Man darf durchaus für bravourös halten, wie er die riesige Partie bewältigt – unterhalb eines gepflegten Forte hört man ihn jedoch selten.

Es geht überhaupt recht laut zu in der Semperoper. Das steht definitiv nicht in der Partitur, liegt aber vor allem an Mikhail Tatarnikov, der am Pult der Sächsischen Staatskapelle die Wiedererkennbarkeit der Motivik hervorragend herausarbeitet, aber die Intimitäten des feingliedrigen Stücks manchmal zu kurz kommen lässt und dafür viel Wert auf den Bombast legt.

Letztlich ist all das aber gut zu verschmerzen, denn gesungen und gespielt wird an der Semperoper trotz allem auf einem Niveau, wie man es hier erwarten darf. Das gilt auch für die große Partie des Staatsopernchores, der nur hin und wieder aus dem metrischen Tritt gerät. Wüsste man es nicht besser, könnte der Staatskapelle mit ihren überirdisch schönen Soli (etwa in Klarinette oder Cello) die glutvolle Partitur auf den Leib geschneidert sein. So werden Ausführende wie Regieteam am Ende nachgerade ausufernd gefeiert, und unberechtigt ist das nicht.

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