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Die Biografin, gemalt von ihrem Gegenstand. Roger Eliot Frys Porträt von Virginia Woolf.

© Wiki CC

Auf den Spuren eines Doppelbegabten : Virginia Woolfs Biografie von Roger Fry

Ihr Buch über den legendären Kunstkritiker und Maler kann man nun zum ersten Mal auf Deutsch lesen.

Von Kirsten Voigt

Der bewunderte Freund war ihr fast unheimlich: „Wirklich, Roger, wenn Du so weitermachst, werden sie innerhalb eines Jahrhunderts einen Christus aus Dir machen. Du wirst zu einer Legende für die Jugend. Natürlich ist das nicht die einzige Art von Ruhm, deren Besitz sich lohnt – das sehe ich: aber ich bin ein wenig alarmiert über die Größe und Leuchtkraft Deines Heiligenscheins.“

Virginia Woolfs sanft ironische Diagnose der Wirkung Roger Frys auf seine Zeitgenossen traf zu, nicht jedoch ihre Befürchtung. Der Ruhm konnte ihrem Mentor nichts anhaben. Das Legendäre seines unbestechlichen Urteils, das ihn zu Lebzeiten international nicht nur für jüngere Künstler, sondern auch für Sammler und Kollegen zu einer Instanz machte, strahlte weit aus – allerdings nicht bis nach Deutschland. Hier blieben seine Kunst und sein Wirken als Motor der Modernisierung britischer Kultur wenig beachtet.

Woolfs letztes Buch

Vielleicht ist auch dies die Ursache für eine erstaunliche Fehlstelle in der deutschen Woolf-Editionsgeschichte. Im Jahr 1940, sechs Jahre nach Frys Tod, schrieb die britische Autorin dessen Biografie, ihr letztes Buch. Sie tat es auf Wunsch von Frys Schwester Margery und ihrer eigenen Schwester, Vanessa Bell, die zeitweilig eine Liebesbeziehung zu Fry unterhalten hatte. Erst heute, mehr als 80 Jahre nach ihrem Erscheinen, schließt der Übersetzer und Herausgeber Tobias Schwartz zusammen mit dem Aviva-Verlag verdienstvollerweise diese Lücke und veröffentlicht Frys Lebensgeschichte erstmals auf Deutsch.

Das opulente Erinnerungsbuch erzählt – um Vorwort, Anmerkungen, Abbildungen und drei kleine literarische Texte Woolfs ergänzt – nicht nur das umtriebige Leben, die intellektuelle Biografie eines der wichtigsten Kunstkritiker Großbritanniens. Es beleuchtet auch einen Teil der Geschichte des Bloomsbury-Kreises. Virginia Woolf hatte Fry auf dem skandalösen Höhepunkt seiner Karriere kennengelernt – im Jahr 1910, anlässlich der damals von ihm in den Grafton Galleries veranstalteten Ausstellung „Manet und die Postimpressionisten“.

Bis dahin hatte sich der Sohn einer Londoner Quäker-Familie nach von Gewalterfahrungen geprägten Schuljahren und seinem zunächst naturwissenschaftlichen Studium in Cambridge, einen grandiosen Ruf als Kritiker, Mitbegründer des „Burlington Magazine“ und Koryphäe für die Kunst der italienischen Renaissance erworben. Zwischen 1904 und 1910 kaufte er in Europa als Kurator für das Metropolitan Museum New York und Pierpont Morgan fantastische Schätze. Und schon 1892 hatte er an der Académie Julian in Paris studiert.  Seither malte er – vor allem Porträts wie das von Virginia Woolf und Landschaften.

Für Posten an der National Gallery London und in Cambridge war er im Gespräch, die angebotene Stelle an der Tate Gallery schlug er aus. Fry blieb dem viktorianischen und edwardianischen England und seinen Institutionen gegenüber unabhängig und dem englischen Geschmack gegenüber sarkastisch. Konservativismus, der Hang zum Pittoresken und bourgeoise Verklemmtheit langweilten ihn.

In Frankreich erlebte er den Aufbruch in die Moderne. Von ihm sollte eben jene Ausstellung 1910 in London zeugen. Die Kritik verunglimpfte die Werke von Manet, Cézanne, van Gogh, Gauguin, Matisse und Picasso jedoch als „Irrenmalerei“. 1913 gründete er die „Omega Workshops“, die sich der Neugestaltung von Mobiliar und Mode, Fragen des Designs widmeten, mit dem man von der „öden und blöden Ernsthaftigkeit“ (Fry) bürgerlicher Inneneinrichtungen weg und hin zu mehr Lebensfreude gelangen wollte.

Virginia Woolf stützte ihre Biografie nicht allein auf persönliche Erinnerungen, sondern auf nachgelassene Briefe und Tagebücher. Ihr gelang – trotz ihres genuinen Misstrauens Biografien gegenüber – das Porträt eines begeisterungsfähigen Theoretikers, eines liebenswürdigen, feinsinnigen und hingebungsvollen Charakters.

Im Chaos des Ateliers

Mit Dezenz und Distanz, nie voyeuristisch, schildert sie die Fähigkeiten Frys zu lieben (etwa seine früh psychisch erkrankte Frau) und Kunst und Künstler zu bewundern. Zu seinen wesentlichsten Qualitäten zählt Woolf sein beständiges, erfolgreiches Suchen nach einer neuen Sprache für seine Profession.

Man begleitet den häufig Schmerzgeplagten auf Reisen, blickt ins Chaos seines Ateliers und liest seine ausführlich zitierten Gedanken über Ästhetik, eine Kunst, die durch die Erscheinungen hindurch zu anderen Wirklichkeiten und einem verständigeren Publikum vordringen und gesellschaftlich befreiend wirken sollte.

Wie den meisten Doppelbegabten fiel es Fry schwer, einfache Wege zu gehen. Mit Woolf folgt man ihm sensibel geführt auf den originellen Pfaden, auf denen er nach Schönem, Wahrem, Zeitgemäßem und Zukünftigem suchte.  

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