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Mit Vollgas in die Verdammnis. Auf den Bildern der Serie „Not Just Your Face Honey“ führen alle Wege nach Las Vegas.

© Stefanie Moshammer

Stefanie Moshammer im C/O Berlin: Auf der Spur des Stalkers

Fakt oder Fake: C/O Berlin zeigt grandios unheimliche Fotos von Stefanie Moshammer, der ersten Preisträgerin des C/O Berlin Talent Award.

Die amerikanische Einstellung entstammt der Western-Ära: bis zum unteren Bildrand ist noch Platz für den Revolver im Gürtel, egal, ob die Filmfigur tatsächlich eine Waffe trägt. Die österreichische Fotografin Stefanie Moshammer hat sich für ihre Serie „Not Just Your Face Honey“, die bei C/O Berlin zu sehen ist, einmal selbst „amerikanisch“ abgelichtet und ein Selbstporträt als pinkfarbenes Phantom geschaffen. Hautenges Dress, unkenntlich gemachtes Gesicht, die Frau als Projektionsfläche für den Männerblick. Dabei schießt Moshammer durchaus zurück. Ihre Fotos basieren auf einer Art Duell. Alles begann in Las Vegas, als ein Fremder ihr ziemlich nahetrat.

Moshammer, 1988 in Wien geboren, ist die erste Preisträgerin des mit 7000 Euro dotierten C/O Berlin Talent Award. Hervorgegangen aus dem seit 2006 laufenden Nachwuchsprogramm Talents, setzt der Preis die Tradition fort, ein Paar aus den Sparten Fotografie und Kunstkritik in einer Schau plus Katalog zusammenzubringen, in diesem Fall in Form des Kunsthistorikers und Kurators Andreas Prinzing, der ein Preisgeld von 3000 Euro bekommt.

Und dann ist da noch Troy, der Mann, der für „Not Just Your Face Honey“ den Anstoß gab. Moshammer war 2014 nach Las Vegas geflogen und fotografierte dort vor allem Frauen, die als Tänzerinnen oder Prostituierte arbeiteten („Vegas and She“). Die kurze Begegnung mit Troy war rein zufällig, der Amerikaner klopfte an Moshammers Tür in der Hoffnung, an der Vorstadt-Adresse seine Exfreundin anzutreffen. Doch die war aus- und Moshammer eingezogen. Egal, könnte Troy sich gedacht haben. Der bizarre, maschinengetippte Liebesbrief, den Moshammer bald von dem Single bekam, wurde zu einem ihrer fotografischen Motive, vor schwarzem Fond in fahlgelbes Licht gesetzt. Unheimlich vor allem die lange Botschaft an das „Austrian Girl“, in der ein Superlativ den anderen jagt: „HELLO, HELLO the Upper Most incredible, sensational, Amazing, and Beautiful girl/woman or anything I’ve seen!“.

Moshammer erzählt von einer Conditio humana

Mit korrekter Rechtschreibung hält Troy sich nicht lange auf, für ihn ist es die kinoreife Liebe auf den ersten Blick. Der Briefschreiber lädt die Angebetete in sein angeblich luxuriöses Haus gleich in der Nähe ein, er sei Besitzer von zwei Autos und möchte auch ihr einen Wagen schenken. Außerdem – „I don’t care if you’re illegal“ – bietet Troy der „Lovely Lady“ an, ihr zum Bleiberecht in den USA zu verhelfen. Er steige gerade zur Berühmtheit auf, ach was, zum allerersten „Real Life Super Hero“, und auch die Österreicherin sei perfekt geeignet für Fernsehen, Kino, Unsterblichkeit.

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Wir befinden uns also mittendrin in einem Herzschmerzroman. Oder vielleicht in einem Film von David Lynch? Statt die Polizei zu alarmieren, kontert Moshammer mit der Kamera. Sie stellt Nachforschungen an, checkt Troys Absenderadresse bei einem Onlinedienst. Das schwarzweiße Bilderpaar „House of Troy via Google Street View“ konfrontiert die Fotografin mit einer auf die Ausstellungswand geschriebenen Briefpassage. Troys bescheidene Bleibe straft seine Behauptung Lügen, er habe „vier Schlafzimmer“. Eines nachts fährt Moshammer zum Grundstück und fotografiert das Haus im Lichtkegel ihrer Autoscheinwerfer ohne den Wagen zu verlassen.

Geht es wirklich um diesen übergriffigen Mann, einen Akt von Stalking? Wohl eher um eine wahnhafte Kluft zwischen Wunsch und Wirklichkeit. Auch um die Abgründigkeit von Gefühlen. Moshammer erzählt von einer Conditio humana – und zwar in einem Medium, das wie kein anderes geeignet ist, die Verschmelzung von Fakt und Fake zum Thema zu machen. Denn Fotos sind in ihrem Wesen so dokumentarisch wie dubios. Wenn Moshammer in ihrem Bildessay einen Mann zeigt, der eine andere Person unklaren Geschlechts umschlingt, die Köpfe bedeckt eine Jacke: Sehen wir einen Akt der Zärtlichkeit oder der Gewalt?

Street Photography hängt neben Stillleben

Moshammers Fotoessay nimmt vor allem Las Vegas in den Blick, wobei sie die üblichen Bilder von Casinos und Neonreklamen auslässt. Kein Bild gleicht dem anderen, und das gilt nicht nur für die stark divergierenden Bildformate, von der Miniatur bis zur wandfüllenden Tapete. Auch setzt Moshammer auf ganz unterschiedliche Bildkonzepte, Street Photography hängt neben Stillleben. Es finden sich stark computerbearbeitete Bilder und ein Collage-Motiv. In einen Briefmarkenbogen mit einem Dutzend Seekopfadler-Bilchen implantiert die Künstlerin einen weiblichen Rückenakt. Frau als Beute.

Ein Puzzle aus Wirklichkeitsfragmenten. Wobei nicht ausgeschlossen ist, dass die Story von Troy, der, frei nach Goethe, „Helenen in jedem Weibe“ zu sehen meint, nur eine Erfindung der Künstlerin ist. Ein trojanisches Pferd, das die Erzählteile trügerisch verbindet. Man betrachtet Fotos eben nicht nur, man „glaubt“ sie auch. Was Moshammers Bilder formal verbindet, sind Klarheit, Schärfe und Helligkeit. Es gibt kaum Dunkelzonen, nichts ist verschwommen. Die Wüste glüht. Die Kamera registriert jeden noch so feinen Riss im Asphalt. Am Heck eines Schrottautos klebt ein Sticker mit der Aufforderung „Suck Dick“. Bremsmanöver-Kalligrafie verziert einen Parkplatz. Die Bilder riechen förmlich nach Reifengummi, Benzin, Angstschweiß. „I’m coming up kinda fast.“ Während Troy von seinem unaufhaltsamen Aufstieg als Celebrity prahlt, inszeniert sich die Fotografin im glänzend roten Overall bei einer Kletterpartie über Felsgestein. Eine Verfolgungsjagd? Plötzlich liest sich der Ausstellungstitel wie „Ich bin dir auf den Fersen“.

C/O Berlin, Amerika Haus, Hardenbergstr. 22-24, bis 23. September. Mo–So 11–20 Uhr. Begleitbuch 28 €.

Jens Hinrichsen

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