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Kirchenanzünder. Mitglieder der Band Mayhem spielten in den Neunzigern mit dem Feuer.

© Studio Hamburg Enterprises

Film „Lords of Chaos“: Auf Teufel komm raus

Der Musikfilm „Lords of Chaos“ erzählt von den Anfängen des Black Metal.

Tief schneidet die Klinge ins Fleisch. Erst am linken, dann am rechten Arm, bevor sich der junge Mann mit dem langen blonden Haar mit dem Messer den Hals aufschlitzt. Um auch wirklich sicherzugehen, greift er dann noch zur Flinte und schießt sich den halben Kopf weg. Sein Abschiedsbrief lautet: „Entschuldigt all das Blut. Lasst die Party beginnen!“ Unterzeichnet: „Dead“.

Auf diese Szene haben die Black-Metal-Fans gewartet, die für Jonas Åkerlunds „Lords of Chaos“ ins Kino gehen, den Film, der die Geburtsstunde der einflussreichsten norwegischen Musikrichtung nacherzählt. Dead war Sänger der Band Mayhem, die Anfang der 90er das Genre des norwegischen Black Metal zur Blüte gebracht hat. Eine Blüte, die Dead – bürgerlicher  Name Per Yngve Ohlin – nicht mehr miterlebt, der er aber durch seinen Selbstmord den Nährboden bereitet hat.

Schädelsplitter werden zu Amuletten

„Lords of Chaos“ konzentriert sich auf seinen Bandkollegen Øystein „Euronymous“ Aarseth (Rory Culkin), der die Leiche des Freundes findet – und nicht etwa die Polizei ruft, sondern den Toten aus allen möglichen Winkeln fotografiert. Außerdem sammelt er Schädelsplitter ein, aus denen er Amulette für sich und die übrig gebliebene Mayhem-Truppe bastelt. Auch für Kristian „Varg“ Vikernes (Emory Cohen), der mit Euronymous um die kreative Vorherrschaft kämpft. Eine Rivalität, die bald brutal eskaliert.

Anders sein, furchteinflößend, böse – darum geht es im Black Metal. Entsprechend widerspenstig fällt die Musik auch aus: Basstrommeln prügeln in halsbrecherischem Tempo voran, dazu Gitarren wie Gewitterwolken und Sänger, die Texte hervorgurgeln und schreien, die Satan huldigen und nordische Urmythen beschwören. Ob das Ausdruck jugendlichen Aufbegehrens ist oder schon protofaschistische Züge trägt, darüber wurde immer wieder gestritten.

Basierend auf Wahrheit und Lüge

Regisseur Jonas Åkerlund bemüht sich, seine Protagonisten weder zu idealisieren noch zu verteufeln – selbst wenn sie Kirchen anzünden, Unschuldige erstechen oder sich gegenseitig umbringen. Das Radikale am Black Metal rührt nicht von der Musik oder vom Gedankengut her, sondern von der Konsequenz, mir der die Protagonisten ihre Gewaltfantasien in den 90ern Wirklichkeit werden ließen.

Wo genau die Grenze zwischen Realität und Fiktion in Åkerlunds Film verläuft, bleibt unklar – ganz so, wie es der Regisseur beabsichtigt. Er stellt ihm die Zeile „Basierend auf Wahrheit und Lügen“ voran, und zitiert sich damit selbst: Denselben Hinweis ließ er schon 2002 in seinem filmischen Drogendelirium „Spun“ einblenden. Ansonsten hat sich der Schwede vor allem mit provokanten Musikvideos einen Namen gemacht, zum Beispiel mit dem brachialen Nachttrip von Prodigys „Smack My Bitch Up“.

Nah an geschundenen Körpern

Jonas Åkerlund hat zwei Jahre bei den Black-Metal-Wegbereitern Bathory aufs Schlagzeug eingedroschen. Diese Nähe zur Szene erklärt die Detailverliebtheit von „Lords of Chaos“, nicht nur beim Selbstmord von „Dead“. Diese Sequenz – relativ zu Beginn – zieht sich ewig in die Länge, bis dem Zuschauer schwummrig wird. Auch weil die Kamera ganz nah an den geschundenen Körper herangeht. Überhaupt schlägt Åkerlunds Mix aus lockerer Coming-of-Age-Geschichte, viehischer Gewalt und sentimentalem Schmalz auf den Magen. Er inszeniert geradlinig in werbegeschulter Ästhetik, was nicht recht passen will zu der schmutzigen Metal-Sphäre. Provokant ist daran lediglich der lüsterne Blick, den er dem Publikum aufzwingt.

OmU: b-ware! Ladenkino, Sputnik

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