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Tanas: Don Quijote in Anatolien

Der lange Weg nach London: Der Projektraum Tanas zeigt Kunst aus der Osttürkei. Die Künstler haben meist mit Video- und Fotokamera starke Bilder geschaffen, die weit mehr sind als Politik und Landeskunde: Es sind bestürzend poetische Allegorien auf Selbstreflexion und ein kritisches Selbstbewusstsein.

Alles, was Sie über türkische Männer gehört haben, stimmt. Das versprechen die poppig-bunten Buchstaben, die Servet Kocyigit in einem großen Holzrahmen an die Wand gehängt hat: „Everything you heard about turkish men is right.“ Wie ein Banner überschreibt die Parole die aktuelle Ausstellung im Projektraum Tanas und macht darauf aufmerksam, dass diese ein zweites, heimliches Thema hat – Männlichkeit und Mannsein.

Doch zunächst einmal geht es hier um den Osten der Türkei jenseits tagesaktueller Krisenmeldungen. Dabei schlagen die zehn Künstler einen herb-ironischen Ton an, der sein Echo im Ausstellungstitel findet: „Nicht einfach, die Welt in 90 Tagen zu retten.“ Die zehn Teilnehmer, allesamt Männer, wissen ganz genau, dass Kunst allein die Welt nicht verändert, schon gar nicht Kunst vom Rand der westlichen Welt. „Road to Tate Modern“ von Sener Özmen und Erkan Özgen bringt das wunderbar auf den Punkt. Das Video zeigt die beiden Künstler zu Pferd und Esel in den anatolischen Bergen, ein Don Quijote und sein Sancho Pansa auf dem Weg zu dem Londoner Kunsttempel. Kurator René Block, der Leiter von Tanas, stellte es bereits 2003 in seiner Kasseler Ausstellung „In den Schluchten des Balkan“ vor. Und das Museum Istanbul Modern hat es soeben bei „Istanbul Next Wave“ im Berliner Martin-Gropius-Bau gezeigt. Der Weg ins Tate Modern ist kürzer geworden.

Die meisten Beiträge drehen sich jedoch um weitaus härtere Konflikte. Halil Altinderes betörend schönes Video „Mirage“ handelt von dem geplanten Ilisu- Staudamm, der die archäologischen Stätten im Tigristal fluten wird. Als tödlichen Bruderzwist wiederum haben Sener Özmen und Cengiz Tekin die Auseinandersetzungen zwischen Kurden und Türken inszeniert, in einem schnell flackernden Stummfilm, der die Tragödie zu einer schwarzen Komödie wie aus der Vergangenheit macht. Und hier kommt das Mannsein ins Spiel.

Männer kämpfen, mit Waffen, Worten oder Füßen. In der Ausstellung treten auf: ein echter General, fünf falsche Militärs, Kampfflugzeuge und ein alter Panzer, den der Berliner Künstler Köken Ergun durch eine dänische Kleinstadt rollen ließ. Außerdem: die Fußballer von Galatasaray Istanbul, ein einsamer Trommler auf den Hügeln vor Batman und Karl Marx. Wie auf der diesjährigen „Istanbul-Biennale“ stehen Tanas kommunistische Ideale auf dem Prüfstand.

Doch vor allem haben die Künstler, meist mit Video- und Fotokamera, starke Bilder geschaffen, die weit mehr sind als Politik und Landeskunde: Es sind bestürzend poetische Allegorien auf Selbstreflexion und ein kritisches Selbstbewusstsein. So betrachtet sich Sener Özmen auf seinem fotografischen Selbstporträt in einer Pfütze. Anders als Narziss läuft er jedoch nicht Gefahr, sich in sein Siegelbild zu verlieben und zu erstarren: Das trübe Wasser zeigt nichts als Schlamm.

Die allerstärksten Bilder aber entstanden mit der Hilfe von Frauen. Breitbeinig wie einen Westernhelden lässt Altindere eine Dame im Wüstensand stehen, während vor ihren Pumps ein Mann mit Palästinensertuch den Kopf in die Erde steckt. Und Kocyigits Wandbild mit der Parole zu türkischen Männern entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als Puzzle aus filigransten Spitzendeckchen. Gehäkelt hat sie, in dreimonatiger Arbeit, eine Frau.

Claudia Wahjudi

Projektraum Tanas, Heidestraße 50, Mitte, bis 13. März, Di-Sa 11-18 Uhr, (22.12.-4.1. geschlossen)

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