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Eins mit der Natur. Yana (Ia Sukhitashvili) auf der Flucht vor dem Alltag.

© Mubi

Religion und Gewalt: „Beginning“ erzählt vom Martyrium einer Frau

Déa Kulumbegashvili blickt in ihrem Regiedebüt auf weibliches Leid in einer patriarchalen Glaubensgemeinschaft. Der Film ist als georgischer Kandidat für den Oscar nominiert.

Von Andreas Busche

Am Anfang war das Feuer. Zwei Molotow-Cocktails fliegen durch die Türen der schmucklosen Kirche einer kleinen Gemeinde von Zeugen Jehovas im georgischen Hinterland, das Feuer breitet sich innerhalb von Sekunden aus. Der Anschlag kostet keine Opfer, aber der Einbruch der Gewalt in die friedliche Gemeinschaft erweist sich für ihren Vorsteher David und seine Frau Yana als Glaubenstest. Himmel oder Hölle.

Der Himmel ist für die Kinder, die kurz vor ihrer Taufe stehen, ein Ort, zu dem nur Menschen, die frei von Sünde sind, Zugang erhalten. „Hölle ist, wenn du im Feuer verbrennst”, erklärt ein Mädchen unsicher. Es ist ein schmaler Grat. Wie oft dürfe ein Mensch sündigen, um noch in den Himmel zu kommen, will Yana (Ia Sukhitashvili) von einem anderen Kind wissen. „Einmal“, lautet die Antwort des Jungen. „Vielleicht drei.“

Das Motiv des Feuers bildet die Klammer um „Beginning“, das Regiedebüt der georgischen Regisseurin Déa Kulumbegashvili, mit dem sie es im vergangenen Jahr in die offizielle Auswahl des ausgefallenen Cannes-Filmfestivals geschafft hat.

Aber auch die knapp zwei Stunden dazwischen fühlen sich wie ein Purgatorium an. Die formale Strenge erdrückt Yana regelrecht, sie wird eingezwängt vom fast quadratischen Bildformat, einer patriarchalen Glaubensgemeinschaft, die für Frauen nur die Rolle der gefügigen Ehefrau und liebevollen Mutter bereithält, und dem Hass der christlich-orthodoxen Gesellschaft, für die die Zeugen Jehovas ein Feindbild verkörpern.

Von den Tätern existieren Videoaufnahmen, doch die Polizei legt David (Rati Oneli, der mit Kulumbegashvili das Drehbuch geschrieben hat), nahe, zu seiner eigenen Sicherheit und der seiner Familie die Männer nicht zu identifizieren. Als David für einige Tage in die Hauptstadt muss, um mit den Gemeindeoberhäuptern den Wiederaufbau seiner Kirche zu besprechen, erhält Yana Besuch von einem der Männer, der sich als Polizist ausweist.

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Der sexuelle Übergriff, den sie in einer quälend langen Einstellung über sich ergehen lassen muss – zunächst verbal, schließlich physisch –, deutet früh im Film an, was die Regisseurin mit ihren strengen, unerbittlichen Bildkompositionen beabsichtigt.

Die Kritik des male gaze wird gelegentlich als zu akademisch abgetan. Kulumbegashvili unternimmt mit „Beginning“, der auch als georgischer Kandidat für den Oscar 2021 nominiert ist, die Probe aufs Exempel. Kameramann Arseni Khachaturan flößt selbst seinen statischen Tableaus noch das Gefühl klaustrophobischer Enge ein; ob in der leeren Wohnung, in der Sukhitashvili auf sich allein zurückgeworfen ist.

Oder in der Natur, in die sich die Protagonistin zurückzieht. Immer schwingt in den Bildern ein latentes Unbehagen mit, verstärkt durch das kluge Wechselspiel zwischen extremer Nähe und Tableaus, die den Charme einer Überwachungskamera versprühen – beziehungsweise zwischen dem, was im Bild zu sehen ist und was von außerhalb der Einstellung droht (gleich zwei Mal greifen aus dem Off Hände nach Yana).

Kulumbegashvili zwingt mit ihren starren Einstellungen zum Hinsehen, aber natürlich ist dies keine Einladung zum Voyeurismus. Das Publikum muss sich zu diesem „Beuteblick“ auf die Protagonistin in ein Verhältnis setzen.

Der kühle Blick ist ein Test für das Publikum

Der Zusammenhang von Religion und Gewalt – weniger überhöht: von Metaphysik und Physis – ist in dem Feld des Arthousekinos, aus dem Kulumbegashvili ihre Einflüsse bezieht, heute reichlich auserzählt; der mexikanische Regisseur Carlos Reygadas, dessen Name als Produzent in den Credits von „Beginning“ auftaucht, hat sich dieser Sujets in seinen Filmen ausgiebig bedient.

Die Transzendenzerfahrung, auf die ein Film wie „Beginning“ [auf Mubi] schließlich hinauslaufen muss (irgendwo zwischen Geologie und Spiritualität, jedenfalls kein Fegefeuer), um überhaupt noch einen Ausweg aus der existenziellen Marter aufzuzeigen, bietet dann eine Interpretation an, die viel früher auf einige sehr interessante Pfade hätte führen können.

Denn eine Zynikerin ist Déa Kulumbegashvili bei aller Strenge gewiss nicht: Ihre Sympathien bleiben immer bei Yana, der kühle Blick ist vielmehr ein Test für das Publikum.

In der großartigsten Szene bleibt Sukhitashvili sechs Minuten lang regungslos auf dem Waldboden liegen, die schützende Kamera wacht unbewegt über ihr, während die Natur stiller und stiller wird. Die junge Frau scheint endlich eins mit sich zu sein – oder schon mit der Unendlichkeit. Ist Erlösung überhaupt möglich? Eines der Kinder beschreibt den Himmel einmal als Sarg.

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