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Hamburger Musiker und Anzugträger: Bernd Begemann.

© Tapete Records

Bernd Begemann in der Bar jeder Vernunft: Die Gans von Konrad Lorenz

Bernd Begemann gibt in der Bar jeder Vernunft den Popstar, Deutschlanderklärer und Silberhochzeits-Künstler. Doch sein Glam ist nah am Abgrund gebaut.

„An alle Männer, die mitgeschleppt wurden wie auf ein Roland-Kaiser-Konzert. Lehnt euch zurück und schaut, wie es geht!“, ruft Bernd Begemann einmal ins Zeltrund der Bar jeder Vernunft. Was „es“ ist, wird nicht ganz klar, aber vermutlich: die Angelegenheit mit den Frauen, denn die wurde kurz davor in „Sie fuhr einen lila Twingo“ angerissen: „Wir saßen auf leeren Biergartenbänken, während kühle Sterne sich niedersenkten, und ich kam mir auf einmal nicht mehr vor wie jemand der blufft“, hieß es da. Der Hamburger erzählt häufig von der Liebe. Vom großen Glück? Eher selten.

Er stand immer jenseits aller Szenen

Gut möglich, dass es ohne den 60-Jährigen Songwriter viele deutsche Acts gar nicht erst gegeben hätte: Die Gründungsmitglieder von Tocotronic, so sagte er einmal in einem Interview, trafen sich erstmals zu dritt auf einem seiner Konzerte. Dem gerne geäußerten Begriff des „Vorreiters der Hamburger Schule“ ist dennoch mindestens eine Fußnote beizufügen.

Begemann stand mit seiner Musik immer jenseits aller Szenen. Er wuchs in Bad Salzuflen auf, Freunden deutschsprachiger Popmusik wegen des legendären Fast-Weltweit-Label ein Begriff, auf dem Musiker:innen wie Frank Spilker, Bernadette La Hengst und Jochen Distelmeyer veröffentlichten. Später zog er nach Hamburg und spielte mit Die Antwort bittersüßen, beschwingten Soul-Powerpop, der je nach Sichtweise zu früh oder zu spät dran war. 1993 machte er sich quasi selbstständig, seitdem erschien ein umfangreiches Solo-Werk.

 Frische Gesichter, vielleicht aus dem Schwarzwald, zum ersten Mal bei uns in der Hauptstadt. Sie fliehen vor mir den Bahnsteig herab. Sie fliehen vor meinem traurigen Trab. Sie fliehen vor der Lektion, die ich hab’“

Bernd Begemann im Song „Berlin“

Begemanns Alleinstellungsmerkmal: Wo andere Songwriter:innen das Private verhandelten, geht es bei ihm um das Gesellschaftliche und jenen Ort, an dem das Gesellschaftliche und das Private sich verschränken. „Rezession, Baby“ hieß das Solo-Debüt, Lieder wie „Hitler – Menschlich gesehen“ oder „Deutsche Hymne ohne Refrain“ legten darauf das Fundament für alles, was später kam: Es geht um (unsere) Geschichte. Es geht aber auch ans Eingemachte und häufig ans Herz.

Nah am Abgrund balancierend, in feinster Seide

Gebrochen wurden diese ewig gültigen Deutschlanderklärungen, die weniger mit anderen Songs verwandt erschienen als mit den BRD-Romanen von Hans-Werner Kettenbach oder Jochen Schimmang, mit Pop-Nostalgie und Sex. Ein großartiger Mix, der über die Jahre ein paar Erweiterungen erfahren hat, vor allem hin zu, nun ja, Glamour. Begemann ist heute ein Showmaster im besten Sinne. Nah am Abgrund balancierend, aber das in feinster Seide. Lustig. Aber selten: haha-lustig oder gar ironisch.

Deutschlanderklärungen fehlen an diesem Abend. Aber deutscher Alltag tropft aus jedem der Songs, die Begemann mal zum Playback, mal zur Gitarre intoniert. Drei davon ergeben in der zweiten Halbzeit des Abends eine Art Mini-Oper: Zunächst singt Begemann „Weg aus dem Tal und nach München“, einen herzzerreißenden Song über die Sehnsucht nach der großen Stadt (die München durchaus ist, wenn man aus Fischbachau, Dietfurt an der Altmühl oder Au in der Hallertau stammt).

Die „Tatort“-Leidenschaft der Deutschen angepiekst

Es folgt „Berlin war stärker“, das erzählt, wie es in der Metropole doch nicht so gut funktioniert: „Frische Gesichter, vielleicht aus dem Schwarzwald, zum ersten Mal bei uns in der Hauptstadt. Sie fliehen vor mir den Bahnsteig herab. Sie fliehen vor meinem traurigen Trab. Sie fliehen vor der Lektion, die ich hab’“. Schließlich „Ihr habt es schön hier“: Vielleicht der gleiche Kerl aus dem Lied zuvor. Jetzt besucht er Bekannte in einem geschmackvollen Haus in einem wohlhabenden Teil der Stadt. Und auch, wenn er sich dort aufgehoben fühlt, willkommen scheint er nicht zu sein. Er wird hinauskomplimentiert, wertigere Gäste haben sich angekündigt.

Live dehnt Begemann seine Geschichten. Aus „Kein Glück im Osten“, einem Lied über Konzert-Erfahrungen in Ost-Deutschland der Neunziger schnitzt er einen Dialog zwischen sich und einer Besucherin heraus: Die sagt vorwurfsvoll, man habe hier eigene Gruppen. Keimzeit. Die Klaus Renft Combo. Die Theo Schumann Combo. Andere Combos. Jemanden wie ihn brauche man da wirklich nicht. In „Fernsehen mit deiner Schwester“ wird kurz, aber nachdrücklich die „Tatort“-Leidenschaft der Deutschen angepiekst. An anderer Stelle erzählt Begemann ausführlich, wie Konrad Lorenz die Gans, der er seinen Nobelpreis verdankte, nach deren Tod verspeist hätte. Nur nix verkommen lassen!

Man könne ihn, so erwähnt er gegen Ende seines Konzertes, für Silberhochzeiten buchen. Das entsprechende Repertoire beherrscht er. Burt Bacharachs und Hal Davids „I Say A Little Prayer“ singt er, dazu dreht am Zeltdach die Discokugel ihre Runden. Später folgt der Chanson-Swing-Klassiker „C’est si bon“. Begemanns Anzug sitzt jetzt, nach gut zweieinhalb Stunden Programm, nicht mehr so, wie sich der Schneider das einmal vorgestellt hat. Aber ist das nicht ein Indiz für einen gelungenen Abend?

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