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Daniel Harding sprang für den erkrankten Kirill Petrenko ein beim Eröffnungskonzert

© Stephan Rabold

Biennale der Berliner Philharmoniker: Und der Kobold tanzt auf den Wellen

Die Berliner Philharmoniker fahren zur Eröffnung ihrer Biennale mit Daniel Harding auf hohe See. Im Mittelpunkt des Programms steht jedoch ein Ungar - György Ligeti.

Das Wunderbare an György Ligeti ist, dass seine Musik so sinnlich gedacht ist. Dass sie trotz ihrer akribischen, teils mikrotonalen Konstruktionsweise alles andere als verkopft ist, immer auf Ausdruck und Wirkung hin geschrieben. Die Gleichzeitigkeit dieser beiden Sphären macht ihn zu einem, wen nicht den bedeutendsten Komponisten der Neuen Musik, und es ist kein Wunder, dass sich seine Werke auch lange nach der Uraufführung immer wieder auf den Spielplänen finden, dass sie ins kulturelle Gedächtnis eingegangen sind und einige von ihnen „Pop“ wurden – nicht nur in Stanley Kubricks Film „2001“.  

Dieses Jahr wäre er 100 geworden, und die Berliner Philharmoniker stellen ihn in den Mittelpunkt ihrer aktuellen Biennale, die sich der Musik der 1950er und 1960er Jahre widmet. Zum Eröffnungskonzert in der Philharmonie mit Daniel Harding am Pult rahmen sie Ligetis „Lontano“ und „Atmosphères“ – was durchaus Sinn macht – mit drei Werken ein, die vom Gestus in eine ähnliche Richtung weisen, Abläufe durch Zustände ersetzen, Klangfarbe und Volumen in den Vordergrund rücken, mit einem Wort „impressionistisch“ komponiert sind. Und die alle drei vom Meer inspiriert sind. 

Benjamin Britten lässt einen Sturm wüten

Anders als Jean Sibelius, der in seinen rondoartig dahinfließenden „Okeaniden“ einen seltenen Ausflug von der finnischen in die griechische Mythologie unternommen hat, gestaltet Benjamin Britten seine „Four Sea Interludes“ erzählender, dramatisch. Kein Wunder, handelt es sich doch um Zwischenspiele aus einem Bühnenwerk, der Oper „Peter Grimes“. Gerade im vierten Stück, „Storm“, formen die Streicher ein plastisches Abbild der Urgewalt der Wellen, während Bläser und vor allem natürlich die Pauke das Geschehen dramatischen, ja hysterisch zuspitzen. 

Schade und nicht ganz verständlich, dass die Chronologie von „Atmosphères“ (1961) und „Lontano“ (1967) vertauscht ist, das später entstandene Stück wird zuerst aufgeführt – und macht mächtig Eindruck. Im Raum schwebende Klänge, die sich verknoten und wieder lösen, eine Musik, die lange vor dem ersten Takt begonnen zu haben scheint - und lange nach dem letzten weitergeht, Ballungen von Energie und Farbe, die sich ständig verwandeln, manchmal nur zu einem einzigen Sirenenton zusammenschrumpfen, alles aus dem initialen Ton As heraus entwickelt.

„Lontano“ ist auch eine Vortragsbezeichnung, sie bedeutet „von weit her“ und bezieht sich auf Instrumente, die hinter der Bühne spielen – passender könnte das Stück kaum benannt sein. Gegenüber diesen spektakulären zehn Minuten wirkt das viel bekanntere „Atmosphères“, das man als viel, nun ja, atmosphärischer in Erinnerung hatte, fast sperrig und ein bisschen spröde. 

Klassiker des musikalischen Impressionismus

Zum Finale natürlich der Klassiker des musikalischen Impressionismus, Claude Debussys „La Mer“, bekanntlich kein Klanggemälde des Ozeans, sondern die Reflexion eines Ichs, das sich das Meer imaginiert. Auf dem Gewoge und Geschäume tanzt immer wieder koboldartig die Sologeige von Konzertmeister Daishin Kashimoto.

Daniel Harding ist vor allem bei den vielen miniaturhaften Klangfigurationen des zweiten Satzes in seinem Element, generell aber kein Pultlöwe, schroffe Kontraste sind mit ihm nicht zu machen. So wird es ein im Guten wie im Schlechten sehr ausgeglichener Konzertabend. Harding ist für den erkrankten Kirill Petrenko eingesprungen, der diese Stücke mit Sicherheit ganz anders aufgerissen hätte.  

Unter dem Motto „Auf der Suche nach einer neuen Moderne“ läuft die Biennale noch bis zum 26. Februar, die Philharmoniker haben dazu nicht nur andere Berliner Klangkörper wie das Rundfunk-Sinfonieorchester oder Musiker wie den Organisten Jean-Baptiste Dupont eingeladen, sondern auch Künstlerinnen und Künstler vom Sprechtheater wie Ulrich Matthes, Tim Fischer und Sophie Rois. 

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