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Gut getorkelt ist nur halb gefallen. Sascha Nathan als Puntila mit Chor im Hintergrund.

© JR Berliner Ensemble

Bück dich hoch: Brechts „Puntila“ im Berliner Ensemble

Aktualisierung mit dem Staubwedel: „Herr Puntila und sein Knecht Matti“ im Berliner Ensemble tut sich schwer mit dem Kapitalismus der Gegenwart

Manchmal habe er, gesteht der schwer alkoholisierte Gutsbesitzer Puntila seinem Chauffeur Matti gleich zu Beginn des Abends, beängstigende Anfälle. „Mindestens einmal im Quartal“, vertraut er auf der Bühne des Berliner Ensembles mit der Spirituosenflasche im Anschlag seinem Bediensteten an, wache er auf und sei plötzlich „sternhagelnüchtern“. Ein hochgradig bedenklicher Zustand sei das, in dem er „einfach zum Tier“ herabsinke: „Ich habe dann überhaupt keine Hemmungen mehr“, beschreibt der Puntila-Darsteller Sascha Nathan in gemütlicher Torkel-Choreografie, aber mit aufrichtigem Entsetzen in der Stimme, die Symptomlage. „Ich bin dann direkt zurechnungsfähig.“

Im Vollbesitz der Geisteskräfte genau jener rationale, über Leichen gehende Ausbeuter, den das kapitalistische System hervorbringt und belohnt, im Suff ein Mensch, der sich mit den Angestellten verkumpelt und in unangenehm sentimentaler Form von Gleichheitsfantasien heimgesucht wird: Dieses Kippbild ist das Grundmotiv von Bertolt Brechts 1940 im finnischen Exil entstandener Komödie „Herr Puntila und sein Knecht Matti“, die die Regisseurin Christina Tscharyiski auf der Brechtbühne am Schiffbauerdamm jetzt mal wieder zur Aufführung bringt.

Vor knapp drei Jahrzehnten, 1996, hat der „Puntila“ hier Theatergeschichte geschrieben, als Einar Schleef ihn als knappen Fünfstünder inszenierte: mit einem ganzen Bataillon von Mattis, denen Schleef – Regisseur wie Hauptdarsteller der Produktion in Personalunion – selbst als Puntila gegenübertrat. Und zwar als einer, der sich eher am Wort besoff denn am Alkohol: Ein epochales, auch skandalöses, Ereignis war das damals, das das antagonistisch-marxistische Brecht`sche Geschichtsbild in eine komplexer gewordene Gegenwart zu überführen versuchte.

Grüße von Deichkind

Auch bei Christina Tscharyiski tritt jetzt ein Matti-Chor auf. Allerdings eher punktuell, als ein Regieeinfall unter vielen. Da steht dann eben auch mal ein Trupp in Blaumännern auf der Bühne und intoniert: „Bück dich hoch! Sonst wirst du ausgesiebt. Bück dich hoch! Mach dich beim Chef beliebt“ – Lyrics der Hamburger HipHop- und Electro-Pop-Formation Deichkind, die inzwischen auch schon ein gutes Jahrzehnt alt sind. Ein Jahrzehnt, in dem sich die Gesellschaft und die Erscheinungsformen der kapitalistischen Ressourcenausbeutung sowie – vor allem – der öffentliche Diskurs darüber nochmals signifikant verändert haben.

Kurz: Es scheint ohnehin schwierig zu sein, die aus der Industriegesellschaft abgeleitete Klassenfrage auf die heutige Wissensgesellschaft zu übertragen, deren Ausbeutungs- und Selbstausbeutungsmechanismen viel stärker subjektiv inkorporiert sind. Hinzu kommen die gestrengen Brecht-Erben. Insofern tut Tscharyiski genau das, was man sich vorgestellt hatte für so eine Neu-Inszenierung am Brecht-Theater: Sie rückt dem Stück mit einem flauschigen Staubwedel zuleibe, der das Interieur zwar möglichst oberflächenglänzend erstrahlen, aber dabei jeden Stein penibel auf dem anderen lässt: genau dort, wo er schon immer gestanden hat. Es gibt hier also weniger einen konzeptionellen Gesamtgedanken als vielmehr eine Reihe voneinander unabhängiger Auffrischungsideen.

Nathan spielt den Puntila als Suffkopp im gemütlichen Teddybär-Stil, der nüchtern eher cholerisch wirkt als wirklich brutal und sich in der berühmten Saunaszene von Matti nackt mit Wasser bespritzen und vom Blaumann-Trupp mit Birkenzweigen peitschen lässt. Peter Moltzen tritt ihm als alerter Lederjackenträger gegenüber, dem man eigentlich jederzeit zutraut, aus dem Knechtschaftsverhältnis auszusteigen.

Wenn die beiden auf dem „Gesindemarkt“ nach neuen Bediensteten suchen, klettern sie in den Zuschauerraum herunter und scannen das Parkett auf geeignetes Humankapital ab, fragen hier eine Zuschauerin nach ihrem Beruf, dort einen Zuschauer nach seiner Aufstehzeit: Unterhaltsam, aber ohne Anspruch auf analytische Konsistenz und letztlich genauso harmlos wie Puntilas Tochter Eva (Nora Quest), die sich aus dem veralteten Frauenbild heraus in eine Kunstfigur mit aufgemalten Herzchenwangen hineinrettet. Oder der ihr zugedachte Oberlangweiler von Attaché, den Pauline Knof im hellblauen Capri-Lederanzug mit gedankenentschleunigter Automatenhaftigkeit spielt.

Und so erscheint der „Puntila“ an diesem Abend als genau jenes „vorzeitliche Tier“, als das es im Prolog – gesprochen hier von dem jeweils mehrere Figuren schulternden Schauspielerinnen-Quartett Nina Bruns, Dela Dabulamanzi, Pauline Knof und Nora Moltzen – zu Verfremdungszwecken beschrieben wird.  

Wieder am 3., 4. 27. Und 18. Mai

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