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Zeitgenössische Musik: Neuköllner Oper: Heldentenöre wie wir

Klimarevue, Babelsound, Bordellballaden: Die Neuköllner Oper wirbt mit einem Festival für ein etwas anderes zeitgenössisches Musiktheater.

„Hemmungslos“, sagt Bernhard Glocksin, „bekennen wir uns zum Erzähltheater.“ An der 1977 gegründeten Neuköllner Oper, die Glocksin gemeinsam mit Christian Römer und Andreas Altenhof leitet, entstehen jährlich ein Dutzend Produktionen. Laufend wird Neues auf die Bühne gebracht, Operetten, die in Wirklichkeit Umarbeitungen großer Musiktheaterwerke sind, Musicals mit Gegenwartsbezug, bunte Abende über politische Referentinnen, Berliner Lokalgeschichte oder einfach nur die Trapp-Familie. Und all dies in einer Zeit, die es sich eigentlich schwer macht mit dem zeitgenössischen Musiktheater.

Denn andernorts, in den großen, etablierten Häusern heißen die Hauptfiguren neuer Stücke Hölderlin, Penelope oder Faust. Die Geschichten spielen in antiken Gefilden, jedenfalls weit weg von der Berliner Gegenwart, werden kunstvoll zerschossen, montiert, kontrapunktiert und durch Regie und Bühnenbild weiter verfremdet. Lange Vorlaufzeiten, viel Geld und künstlerische Ressourcen stecken die Häuser in diese Art zeitgenössisches Musiktheater. Und müssen trotzdem immer wieder erleben, dass solche Produktionen außerhalb der kleinen Neue-Musik-Szene kaum wahrgenommen werden. Liegt es an den Komponisten? Oder am Ende doch am Publikum, das womöglich immer noch nicht aufgeschlossen genug ist?

An der Neuköllner Oper zumindest fängt man gar nicht erst an, die Leute erziehen zu wollen. Es gibt keine Programmbücher und auch keine Einführungsvorträge, die dem Publikum die Scheu vor dem fragmentierten, fiependen, schabenden Ton nehmen sollen, dem tönenden Gegenstück zum unrettbar verlorenen Ich, das in einer zerfallenden Welt und einer längst nach-geschichtlichen Zeit lebt. Weswegen die hochseriösen Opernstücke, die von dieser Welt und dieser Zeit sprechen, ja auch unmöglich im „Erst, dann, danach und viel später“-Modus erzählt werden können. Weswegen die zugehörigen Klänge und Gesänge zwangsläufig zerstieben müssen. Und so weiter und so fort.

Glocksin also bekennt sich stattdessen zu einem Erzähltheater. Außerdem zu Aufklärung und Arbeit an der Basis, gerade so wie seine Vorgänger in Neukölln, der Komponist Winfried Radeke und der Autor und Regisseur Peter Lund. Konkret heißt das, dass an der Neuköllner Oper, dem kleinen vierten Opernhaus der Stadt, das deutschsprachige sozialkritische Musical erfunden wurde, eine Kunstform, die in Europa immer noch ihresgleichen sucht. Dass man dort nicht für ein „Rollkragenpublikum“ (Glocksin) produziert und humorfähig bleibt. Dass man regelmäßig mit Studenten der Berliner Musikhochschulen zusammenarbeitet. Und nicht in die Ferne ausschweift, wenn es darum geht, Neues für die Opernbühne zu erfinden, sondern einfach nur vor die Türe geht.

Vor allem aber bedeutet es, dass in diesen Tagen ein „Europäisches Festival für anderes Musiktheater“ aus der Taufe gehoben wird, das sich „OpenOp“ nennt, was so viel heißt wie: Seid offen! Öffnet die Oper! Dreizehn Produktionen in zehn Tagen, darunter fünf reine Gastspiele und vier eigens erarbeitete Festival-Produktionen – es ist eine Art europäisch orientierte Werkschau, die das Haus an der Karl-Marx-Straße ab Donnerstag präsentiert. Dass die Vorlaufzeit für „OpenOp“ kaum länger als ein knappes Jahr betrug, entspricht dem Wunsch nach tagesaktueller Anbindung an das Weltgeschehen.

In den Stoffen und Motiven der Produktionen findet diese rasche Transmission einen Spiegel. Bei „OpenOp“ wird es um das Weltklima gehen, um städtische Hunde oder die Zauberflöte nach dem Weltuntergang, um ein westlich geprägtes Mädchen, das zurück in die Türkei heiraten muss, oder die liebeskranke Nasa-Astronautin Lisa Nowak, die ohne Pause tausende Kilometer fuhr, um eine Nebenbuhlerin zur Rede zu stellen.

Stolz ist man in Neukölln vor allem auf die Neuproduktionen des Festivals, zum Beispiel auf „Schreberzone“, mit der sich die Musiktheaterformation „schindelkilliusdutschke“ der berlintypischen Flucht aufs Land annimmt. Oder auf den „Balkanshow“ genannten Abend „A Fist Full of Love“, der gemeinsam mit dem Mazedonischen Nationaltheater in Skopje produziert wird, thematisch um die uralten und immer neuen Themen Liebe und Krieg kreist und musikalisch eine Mischung von Western Sound, Balkan Pop und bulgarischer Kirchenmusik bietet.

Ähnlich vielfarbig wird es am letzten Abend in der Richardstraße 105 losgehen mit „New Babel Sounds“, einer Koproduktion der Neuköllner Oper mit dem Muziektheater Transparent und den Operadagen Rotterdam. Acht professionelle Stimmkünstler werden sich mit einem Chor aus 80 Neuköllner Laien zusammentun, um dem alten, hochmütig- anmaßenden Babel ein Song-Spektakel entgegenzustellen, das hörbar macht, wie die Gegenwart eines Stadtteils klingt, in dem nicht weniger als 160 Nationalitäten miteinander leben. Ein Stipendiatenprogramm schließlich bringt den letzten Aufbruchs-Schliff ins Festival: Zehn junge Musiktheater-Schaffende aus ganz Europa, Sänger, Regisseure, Dramaturgen, werden mit dem Stimmkünstler David Moss arbeiten, dem Komponisten Moritz Eggert oder der Puppenspielerin Suse Wächter.

Wächter übrigens verantwortet ebenfalls eine Festival-Neuproduktion: „Helden der Oper. Die kleinste Gala der Welt“, koproduziert mit dem Staatstheater Oldenburg, eröffnet das Festival am Donnerstag und führt Sigmund Freud, Elfriede Jelinek, Orpheus, Michael Jackson oder Luciano Pavarotti zusammen. Endlich dürfen Pop und Oper mal so richtig miteinander kommunizieren, Sponsoren für diese Gala werden auf Neuköllner Straßen gefunden, und das Motto lautet selbstverständlich: „Yes, we can!“

Das Festival läuft vom 8. bis 18. April. Infos unter: www.festival-openop.de

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