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Senator Joe Chialo erinnert vor dem Jüdischen Gemeindehaus in der Fasanenstraße an die von der Hamas verschleppten israelischen Geiseln.

© AFP/MICHELE TANTUSSI

Chialo-Erlass gegen Antisemitismus: Berlins Kultureinrichtungen bekommen neue Förderrichtlinien

Unter Generalverdacht: Ab sofort gibt es Zuwendungen in Berlin nur noch mit einer Klausel gegen Diskriminierung.

Eine weitreichende Maßnahme zum Jahresbeginn: Die Berliner Senatsverwaltung für Kultur und Gesellschaftlichen Zusammenhalt führt neue Förderrichtlinien ein. Zuwendungen werden generell mit einer Klausel gegen Diskriminierung und Antisemitismus versehen. Die Regelung gilt ab sofort und für sämtliche Kultureinrichtungen des Landes Berlin, von den großen Bühnen und Museen zu den Freien Gruppen.

Neue Wege der Kulturpolitik

In der Mitteilung aus der Verwaltung heißt es: „Alle potenziellen Zuwendungsempfängerinnen und –empfänger bekennen sich damit zu einer vielfältigen Gesellschaft und gegen jede Form von Antisemitismus gemäß der Antisemitismus-Definition der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) und ihrer Erweiterung durch die Bundesregierung. Sie verpflichten sich dazu, alles Notwendige zu veranlassen, um sicherzustellen, dass die gewährten Fördergelder keinen Vereinigungen zugutekommen, die als terroristisch und/oder extremistisch eingestuft werden.“

 „Kunst ist der Kitt, der unsere Gesellschaft zusammenhält.

Joe Chialo, Kultursenator

Die Arbeitsdefinition der IHRA von 2016 lautet: „Der Antisemitismus richtet sich in Wort und Tat gegen jüdische oder nichtjüdische Einzelpersonen und/oder deren Eigentum sowie gegen jüdische Gemeindeinstitutionen oder religiöse Einrichtungen.“ Die Bundesregierung hat ergänzt: „Darüber hinaus kann auch der Staat Israel, der dabei als jüdisches Kollektiv verstanden wird, Ziel solcher Angriffe sein.“

Regeln für den Kulturbetrieb

Es handele sich um einen offenen Prozess, um den Beginn eines Dialogs. So wurde die Neuerung den Kultureinrichtungen angekündigt. Tatsächlich ist es beschlossene Sache. Senator Joe Chialo (CDU) erklärte: „Kunst ist der Kitt, der unsere Gesellschaft zusammenhält, sie dient dem Austausch miteinander, ist oft Reibungsfläche, an der sich Debatten entzünden und gibt Denkanstöße. Kunst ist frei! Aber nicht regellos.“

Das sind starke Worte. Sie stellen den Kulturbetrieb unter Generalverdacht. Antisemitische, rassistische, queerfeindliche Übergriffe stehen nicht auf dem Berliner Kulturprogramm. Der Fall des Neuköllner Kulturzentrums Oyoun, dem eine israelfeindliche Grundhaltung vorgeworfen wird und die Fördermittel entzogen wurden, ist noch nicht gerichtlich geklärt. Die Betreiber klagen und lehnen eine Räumung ab.

Im Schatten der Documenta

Mit der Richtlinie will die Kulturverwaltung offenbar auch verhindern, dass sich der Documenta-Skandal von 2022 wiederholt. Auf der Documenta 15 in Kassel waren Bildwerke antisemitischen Inhalts ausgestellt und dann entfernt worden. Die Diskussion darüber hält an. Allerdings ist in der Kulturpolitik des Bundes die Einführung einer solchen Klausel bislang nicht geplant.

Gefahr für Kulturaustausch

Katrin Budde (SPD), Vorsitzende des Kulturausschusses im Bundestag, sorgt sich wegen der angespannten Lage um den Kulturaustausch. Man müsse sich auf die Probleme einlassen, „damit am Ende nicht ein Abbruch von internationalen Kulturbeziehungen droht für Goethe Institut, Humboldt Forum, Stiftung Preußischer Kulturbesitz oder Kulturstiftung des Bundes.“ Man dürfe diese „klassischen Institutionen wirklich keines Antisemitismus verdächtigen, die aber sagen: Zusammenarbeit muss machbar sein.“ Jeanine Meerapfel, Präsidentin der Akademie der Künste Berlin, spricht sich gegen „Gesinnungsprüfungen“ aus und verteidigt die Entscheidungsfreiheit der Einrichtungen.

Wer darf noch eingeladen werden aus dem Globalen Süden, wo andere Perspektiven und Denkweisen anzutreffen sind, wer darf über israelische Politik in welcher Form diskutieren? Direkte Sanktionen droht der Chialo-Erlass nicht an. Aber er schafft Unsicherheit und ein Klima des Misstrauens. Kunst als gesellschaftlicher Kitt? Diese Formulierung dürfte den sogenannten Klimaklebern gefallen. Und was bedeutet es, wenn Chialo sagt, die Kunst ist frei, aber nicht regellos? Wer bestimmt die Regeln? Es kann einmal ein Beispiel für antidemokratische Parteien sein, die im Grundgesetz verankerte Freiheit der Kunst anzugreifen.

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