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Eine Seite aus  „Oh Cupid“.

© avant

Ausgezeichneter Comic über Online-Dating: Grafische Gefühlsverrenkungen

In „Oh Cupid“ erzählt Helena Baumeister von eigenen Dating-Erfahrungen. In München wurde ihr Buch jetzt als bester deutschsprachiger Comic ausgezeichnet.

Oberflächlichkeit, Ghosting, Dick-Pics - Online-Dating kann eine wahre Qual sein. Helena Baumeister kann ein Lied davon singen: In ihrem Comic „Oh Cupid“ (avant, 104 S., 18 €) erzählt sie ungeschminkt und selbstironisch von ihrer Dating-Erfahrung, mit allen Peinlichkeiten, Hoffnungen, Irritationen und Geilheiten, die so etwas nun mal mit sich bringt.

Dafür wurde die Hamburger Zeichnerin 2021 mit dem Hamburger Literaturpreis für Comics ausgezeichnet, an diesem Wochenende bekam „Oh Cupid“ zudem den „Peng!“-Preis als Bester deutschsprachiger Comic beim Comicfestival München.

„Als sich im Herbst 2020 der zweite Lockdown anbahnte, bin ich eingeknickt und habe mir zum ersten Mal eine Dating-App auf meinem Handy installiert“, sagt Baumeister über die Hintergründe ihrer Erzählung. Beim vierten Date begegnete sie einem Mann, der ihr von Anfang an gefiel. „Nach dem Treffen war ich ganz eigenartig berührt und habe zuhause direkt angefangen, dieses Erlebnis skizzenartig runterzuzeichnen.“

Eine weitere Szene aus „Oh Cupid“.

© avant

Die Momente des ersten Kennenlernens sind mit all ihrer Ungelenkheit eingefangen: „Da winkt jemand. Ist das er? Er ist groß“, denkt Baumeister, als sie die richtige Hausnummer sucht. Sie und ihr Date machen eine Radtour, zwischen den Smalltalk schieben sich immer wieder Baumeisters innere Gedanken, die versuchen, das eigene Verhalten und das des Gegenübers einzuordnen. Und dann die Frage: Bei ihm übernachten oder nicht..?

Gehässige Amseln kommentieren das Ganze

Banale Wortwechsel, Momente des Glücks, peinliches Schweigen, Ungeschicklichkeiten beim Sex - all das ist realistisch und ungeschönt eingefangen. Baumeister zeigt sich in „Oh Cupid“ in ihrer ganzen Verletzlichkeit, ähnlich wie es Moa Romanova in ihrem autobiografischen Comicdebüt „Identikid“ getan hat, in dem es ebenfalls um Online-Dating geht.

Es gibt noch eine Parallele zwischen Baumeister und Romanova: Beide haben einen ausgesprochen avantgardistischen Zeichenstil, der viel über die innere Verfasstheit ihrer Comic-Alter Egos verrät. Die Bilder in „Oh Cupid“ sind von ständiger Unruhe erfüllt, Gesichtszüge verschwimmen oder sind verzerrt, Proportionen einzelner Körperteile verändern sich von Panel zu Panel, Fahrräder falten sich im rechten Winkel.

Diese grafischen Verrenkungen geben perfekt die Unsicherheit und die Gefühlsverwirrungen wieder, in denen sich die Figuren befinden, etwa wenn Baumeisters Kopf schon ins Schlafzimmer ihres Dates fliegt, während der Körper noch unten im Flur steht. Ironisch gebrochen wird das Ganze durch zwei Amseln, die das Schauspiel mephistophelisch mit Popcorn und gehässigen Kommentaren begleiten.

Genauso flüchtig wie die Zeichnungen ist das Dating selbst: Baumeisters Suche nach echter Zuneigung bekommt schnell einen Dämpfer, weil viele Kontakte nur nach unpersönlichem Sex suchen. Online-Portale wie „Ok Cupid“ oder „Tinder“ sind für einen Großteil der Nutzerinnen und Nutzer kaum mehr als Gaming-Apps, die Suche nach Dates für viele nur ein Spiel.

„Oh Cupid“ ist ein stellvertretende Stoßseufzer für alle, die ähnliche Erfahrungen machen mussten und sich hier in berührend-komischer Weise wiederfinden können. Ein überraschendes Debüt und guter Comic für alle, die Online-Dating hassen.

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