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Interview: "Berlin ist mir zu anstrengend"

Wegen der Liebe kam Ralf König einst nach Berlin. Hier entstand das Buch zu seinem Kinohit "Wie die Karnickel". Mit der Stadt wurde der Comiczeichner nie warm. Die alten Freunde fehlten ihm - und der Kölner Karneval

Warum sind Sie vor vier Jahren eigentlich nach Berlin gekommen - und warum haben Sie die Stadt so schnell wieder verlassen?

Ich bin weniger wegen der Stadt gekommen und mehr wegen einer Beziehung. Ich hatte einen Freund hier, wir haben beschlossen, dass wir zusammenleben wollen. Aber das hat leider nicht geklappt. Dann fehlte mir mein Kölner Freundeskreis. Und immer, wenn ich mit dem Zug über die Hohenzollernbrücke über den Rhein fuhr, ging mein Herz auf und ich merkte, wo meine Wurzeln sind. Außerdem muss ich sagen: Berlin ist mir zu anstrengend.

Wieso?

Alleine diese Entfernungen, wie lange es dauert, von A nach B zu kommen. Und dann in der U-Bahn immer diese erschöpften Menschen. Ich hatte das Gefühl, die Stadt entzieht mir mehr Energie, als ich von ihr bekomme. Ich habe zwar in einer sehr schönen Wohnung gelebt, in Schöneberg. Aber ich bin nun mal dörflich aufgewachsen, in einem Kaff bei Soest. Das prägt. Ich mag einfach nicht in einer Stadt leben, die so riesig ist. Köln ist ja im Grunde auch nur ein Dorf.

Als Sie damals nach Berlin kamen, sagten Sie, Köln sei Ihnen viel zu klein. Außerdem nerve Sie der Haudrauf-Humor der Kölner

Das ist der Zwiespalt. Ich muss da auch immer wieder mal raus. Mit dem Karneval komme ich allerdings wunderbar klar. Da verpassen alle anderen Städte was. Ich bin inzwischen begeisterter Karnevalist.

Hat Ihnen in Berlin etwa der rheinische Frohsinn gefehlt?

Nein, das nicht. Aber ich erinnere mich, dass ich irgendwann mal im "Tom's" war, und da lagen ein paar Szenezeitschriften aus, die hatten ein Foto von Hella von Sinnen mit Karnevalsmütze auf dem Titel. Da war ich sehr gefrustet, dass ich zum Karneval nicht in Köln sein konnte. Hier ist ja nichts mit Pappnase.

Wie hat Berlin Ihre Arbeit beeinflusst?

Gar nicht. Ich war nicht lange genug hier, als dass mein Humor sich wirklich verändert hätte. Ich bin auch kaum ausgegangen. Ich habe aber eine Geschichte gezeichnet, die in meinem vorletzten Buch "Poppers, Rimming, Tittentrimm" veröffentlicht ist, in der jemand in Berlin den Karneval sehr vermisst. Dieses Gefühl, im Ausland zu sein, während die anderen Karneval feiern, das hatte ich damals. Ansonsten ist meine Arbeit nach wie vor sehr kölsch.

Sie sagen, es inspiriert Sie, wenn Sie ausgehen. Wie läuft das praktisch: Schreiben Sie innerlich mit, wenn am Nebentisch ein interessanter Dialog stattfindet, oder wenn Freunde sich streiten?

Nein, das fließt nur indirekt ein. Im Privatleben denke ich eigentlich gar nicht an meinen Job. Aber wenn ich dann später wieder an meinem Schreibtisch vor einem weißen Blatt Papier sitze, dann habe ich Assoziationen von Sachen, die gesagt wurden, und die ich komisch fand. Daraus entwickle ich dann meine Geschichten. Aber man darf nicht denken, dass ich meine Freunde karikiere. Dann hätte ich bald keine mehr. Ich karikiere manchmal höchstens mich selbst.

In Ihrem Buch "Poppers " erinnert sich eine Ihrer Figuren wehmütig an die kämpferischen Anfänge der Schwulenbewegung. Wie viel Autobiographie steckt da drin?

Ich schöpfe viel aus meinem eigenen Leben, klar. Ich bin ja inzwischen schon 42. Das ist nicht zu fassen, aber es ist leider so. Und ich komme eben aus ganz anderen Zusammenhängen. Schwulsein war in meiner Jugend noch etwas Politisches.

Sind Sie enttäuscht, dass die jungen Schwulen heute weniger kämpferisch sind?

Ich finde es bedenklich, dass Schwulsein bei den jüngeren Stadtschwulen meist nur noch Spaß bedeutet. Und dass sie gar nicht mehr wissen, dass es noch vor wenigen Jahren ganz anders aussah. Dass es etwas mit einem politischen Kampf zu tun hatte, mit einem Outing, das man sich immer wieder auf die Fahne schreiben musste. Das war in den Achtzigern, als ich mit meinem Freund Hand in Hand durch die Fußgängerzone von Dortmund ging, nicht komisch.

Wieso?

Da haben wir sehr viele, sehr bösartige Blicke geerntet. Dass sich das - zumindest in den größeren Städten geändert hat, musste erst erkämpft werden. Für mich sind die Kneipenwirte Helden, die noch vor meiner Zeit ihre Kneipen immer wieder aufgemacht haben, auch wenn die Polizei sie immer wieder schloss. Das weiß aber heute von den Jungen kaum noch jemand. Außerdem glaube ich nicht, dass das Schwulsein heute wirklich toleriert wird. Das ist immer noch etwas Exotisches. Und es kann auch mal wieder ins Gegenteil kippen.

Auch in "Wie die Karnickel" lauern unter der Oberfläche der Toleranz die Ressentiments gegenüber Schwulen. Sehen Sie Ihre Komödie als Teil des Kampfes um Gleichberechtigung?

Ja. Ich bin froh, dass ich mit Humor arbeite. Dadurch erreiche ich sehr viele Leute. Ich wollte den Schwulen im Film als sehr selbstbewusst darzustellen. Und vor allem nicht tuntig, dieses Klischee mochte ich auf keinen Fall bedienen, damit reicht s langsam. Aber ich wollte zeigen: Schwulsein hat einige Vorteile. Wir haben zum Beispiel einfach mehr Spaß

Aha.

Doch, das ist so. Sexuell, aber auch in vielen anderen Lebensbereichen. Es geht schneller, es ist unkomplizierter zwischen Mann und Mann. Ich habe es noch kein einziges Mal bedauert, schwul zu sein. Wenn ich mir so angucke, welche Probleme Männlein und Weiblein haben, und wie unbefriedigt Heteromänner oft sind, was die für unerfüllte erotische Träume haben, dann ist das ganz deutlich.

Was meinen Sie?

Wenn man sich die Pornographie anschaut, sieht man die Wahrheit. Was Heteros sich da erträumen, was die für ein Zerrbild von Frauen haben, die sich immergeil sofort jedem Postboten hingeben. Das ist völlig weltfremd, aber so wollen Männer offensichtlich die Frauen haben, sonst wäre das Bild von der willigen Schlampe ja nicht so beliebt. Bei Schwulen ist die Kluft zwischen Wunschdenken und Realität viel kleiner.

Ihre früheren Comics waren in erster Linie für ein schwules Publikum gedacht, wurden dann auch bei Heteros populär. Bei "Wie die Karnickel" scheint es, als hatten Sie erstmals explizit ein heterosexuelles Publikum vor Augen.

Jein. Ich hatte vom Verlag den Auftrag bekommen, ein Drehbuch für einen Kinofilm zu schreiben. Da ist natürlich klar, dass ich dann keine rein schwule Geschichte schreibe, weil ich ein großes Publikum erreichen will. Aber dafür muss ich mich nicht verbiegen. Ich lebe ja nicht auf einer Insel, ich habe auch heterosexuelle Freunde. Außerdem reizt es mich immer wieder, über den schwulen Tellerrand hinauszugucken. Das wird mir von schwulen Kritikern vorgehalten. Ich höre bis heute über "Der bewegte Mann", das sei zu sehr Mainstream gewesen und nicht nur für Schwule. Dabei ist es doch eine Riesenchance, dass ich als Comiczeichner so viele Menschen erreichen kann, die mit Schwulen sonst gar nichts zu tun haben.

Verstehen Sie sich als Aufklärer?

Das klingt zu moralisch. Ich will lustige Geschichten zeichnen. Wenn in "Wie die Karnickel" der Schwule zum Hetero sagt, die Prostata ist des Mannes Klitoris, dann habe ich eine Freude daran, dass die meisten heterosexuellen Männer denken: Mein Gott, was entgeht mir da nur?

Als ich den Film sah, grölten drei besoffene Kerle vor mir immer dann besonders laut, wenn eine halb nackte Frau auf der Leinwand auftauchte. Haben Sie keine Angst vor Beifall von der falschen Seite?

Nein, das stört mich nicht. Die Kinofilme sind für mich ja nur Beiwerk. Da wage ich mal was, das viele Menschen erreicht. Ich sehe mich weiterhin in erster Linie als Comiczeichner. Beim Film ist es mir viel zu anstrengend mit so vielen Meinungen und so viel Verantwortung. Da am Ende noch einigermaßen das zu haben, was man sich anfangs vorgestellt hat, ist nahezu unmöglich.

Wieso tun Sie sich dann immer wieder den Stress an, Ihre Bücher verfilmen zu lassen?

Wegen der Kohle. An einem Drehbuch verdiene ich so viel, wie für drei Comicbücher. Außerdem wollte ich nach den für mich nicht so gelungenen Verfilmungen von "Der bewegte Mann" und "Das Kondom des Grauens" versuchen, mich noch mehr reinzuhängen, damit ich am Ende etwas auf der Leinwand sehe, das mir gefällt. Von den 90 Minuten des neuen Films finde ich 80 gelungen. Und ich merke auch, dass der Film zumindest bei Schwulen sehr gut ankommt.

Anders als bei den meisten Kritikern.

Es gab Begeisterungsjubel und Hasstiraden, dazwischen wenig. Es ist ja auch ein Film, der sich über Heteros lustig macht - und dass die Heteros da nicht alle applaudieren, kann man vielleicht verstehen. Aber nach Jahrhunderten, in denen Schwule lächerlich dargestellt wurden, ist es an der Zeit, das mal umzudrehen. Ich habe, anders als im Film "Der bewegte Mann", Wert darauf gelegt, dass in dieser Geschichte alle Figuren lächerlich sind. Die Schwulen rennen vor Schrankwände, weil da ein netter Mann vorbeikommt; die Heteros gehen in Wichskabinen und erleben da ihre Malheure; und die Frauen sind völlig verkrampft und können sich nicht entscheiden, Reizwäsche tragen zu wollen, weil sie sich dann gleich als Schlampe fühlen.

Wie geht s nun weiter?

Ich habe erstmal ein großes Bedürfnis danach, wieder alleine mit meinen Knollennasen am Zeichentisch zu sitzen. Die gucken, wie ich will, die machen, was ich will.

Was zeichnen Sie gerade?

Ich erzähle eine Vater-Sohn-Geschichte. Bisher hatte ich immer die Mütter drauf, die Väter kamen kaum vor. Dabei haben Schwule mehr Probleme mit Papa als mit Mama.

Was sagen denn Ihre Eltern zu Ihrer Arbeit?

Die fanden den Film ziemlich klasse. Außerdem sind sie stolz wie die Gockel. Das geht so weit, dass mein Vater wildfremde Leute anspricht und sagt: Das ist mein Sohn, der das gemacht hat. Das ist mir ziemlich peinlich, aber ich finde es andererseits auch ganz süß. Meine Bücher lesen sie nicht. Meine Eltern sind über 70, die wissen gar nicht, wo sie bei den vielen Bildern anfangen sollen.

Das Interview führte Lars von Törne

(Erschienen im gedruckten Tagesspiegel vom 29.09.2002)

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