zum Hauptinhalt
Auf Spurensuche. Eine Seite aus dem Buch.

© Illustration: Modan/Edition Moderne

Israel-Comic: Wo es wehtut

Wegen des Streits um den Siedlungsbau war Israel in den vergangenen Tagen wieder in den Schlagzeilen. Vom schwierigen Alltag in dem umkämpften Land erzählt der preisgekrönte israelische Comic „Blutspuren“, kürzlich erschien auf Deutsch die zweite Auflage.

In einem Interview mit ihrem Comiczeichner-Kollegen Joe Sacco sagte Rutu Modan 2008: „Wenn die Realität um uns herum so kompliziert oder zu beängstigend ist, tendieren die Menschen dazu, sich von ihr loszulösen. Ignorieren ist eine Variante, makaberer Humor eine andere.“ Der Taxifahrer Kobi, von dem Modan in ihrem Buch „Blutspuren“ erzählt, hat sich für die erste Variante entschieden. Nicht, weil der mit der schwierigen Lage in Israel nicht fertigwerden würde – seine vertrackte Familiensituation macht ihm zu schaffen: Nach dem Tod der Mutter überwarf er sich mit seinem Vater, seine Schwester lebt in den USA, engeren Kontakt hält er bloß zu seiner Tante, mit der er sich in Tel Aviv das Taxi teilt.

Eines Tages erhält er einen Anruf von einer Unbekannten, die ein Verhältnis mit seinem Vater gehabt hat und glaubt, dass er die bislang unidentifizierte Leiche eines Anschlags sein könnte. Nach der ersten Abwehrreaktion begibt sich Kobi mit der „Giraffenfrau“ Numi auf Spurensuche. Die beiden bewegen sich in einem Land, das von zwischenmenschlicher Härte geprägt ist.

Wo sie auch hinkommen, die Attentate sind zwar in den Köpfen präsent, aber eine kollektive Abstumpfung hat sich darüber gelegt: Ein Händler, der den Anschlag überlebt hat, traktiert die Kobi und Numi mit saloppen Bemerkungen und drastischen Schilderungen über den wahrscheinlichen Tod des Gesuchten; ein Imbissbesucher regt sich der Inhaberin gegenüber auf, dass ihr beim Anschlag getöteter Mann ihm den Tee immer aufs Haus gegeben hätte. Die kleinen Egoismen und Niederträchtigkeiten allerorten überschatten die gespannte Lebenssituation.

Oft scheint das Leben nur auf den ersten Blick klar

Ausgerechnet im pathologischen Institut der Gerichtsmedizin findet ein Moment des comic relief statt, der die Spannung durch Humor erleichtert. Der Natur dieses Schauplatzes gemäß übertönt das Lachen aber einen stummen Schrei. Solche Anflüge des Makaberen sind eher dem Verdrängen und Vergessen geschuldet, anstatt dass sie in den Zynismus flüchten.

Der Nahostkonflikt und die persönliche Biografie liegen wie zwei unabhängige Realitätsschichten übereinander. Rutu Modan lenkt den Blick der Leser auf ihre an der Ligne Claire geschulten Zeichnungen durch farblich undifferenzierte Vorder- und Hintergründe. Damit hebt sie nicht allein Figuren aus den Orten heraus, in denen sie sich bewegen, oder setzt sie zu einem Bildelement herab, das den Blick vom Wesentlichen ablenkt. Sie stellt außerdem eine visuelle Parallele zwischen dem Setting der Handlung und den Zeitungsbildern her, auf denen die einzelnen Figuren ebenso verschwimmen wie auf den undifferenzierten Panelebenen.

Kobi und Numi bekommen während ihrer Suche auf ganz persönliche Weise ein Gespür dafür, dass das Leben mehrere Dimensionen bereithält, deren Verhältnis sich ihnen nicht ohne weiteres erschließt. Der dezentere und deutlich treffendere englische Titel von „Blutspuren“ heißt „Exit Wounds“, Austrittswunden. Wie beim bloßen Anblick einer Austrittswunde können wir nur mutmaßen, was die Verletzung angerichtet haben mag, deren Existenz sie sichtbar macht. Im Gegensatz zur Eintrittswunde liegt die Verletzung bereits zurück, der zerstörerische Fremdkörper verließ den Organismus wieder. Indem sich Kobi und Numi in ihre eigenen Wunden und die des ganzen Landes hineinbegeben, können sie sich aus der allgegenwärtigen Agonie und Isolation befreien.

Rutu Modan: Blutspuren, 168 Seiten, 26 Euro, mehr über das Buch und eine Leseprobe findet man unter diesem Link.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false