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Slava Polunin

© Admiralspalast

Clown-Show: Das Gelächter der Anarchie

Bis zum 27. Januar im Berliner Admiralspalast: Die "Snowshow" des russischen Clowns Slava Polunin. Der Minimalist und Feingeist bietet mehr als Stolpern, Fallen, Aufstehen und wieder Stolpern.

Die Schminke im Gesicht zerläuft, graue Haarbüschel stehen links und rechts wild vom Kopf ab. Wjatscheslaw Iwanowitsch Polunin hat am Ende Platz genommen in der fünften Reihe des Admiralspalastes. Um ihn herum juchzen Schlipsträger, ältere Damen und Jugendliche, stoßen immer wieder mit vereinten Kräften die riesigen Gummibälle bis zur Decke des Admiralspalasts, lassen einander Papierschnee über die Köpfe rieseln. Polunin, der sich Slava nennt, hat jetzt das Lächeln, das ein Großvater lächelt, wenn er vom Rand des Spielplatzes den Enkeln beim Toben zuschaut. Aus dem Hintergrund hört man noch immer den fahrenden Zug, dessen gleichmäßiges Rattern die Zuschauer durch die ganze Show begleitet hat. Aber der Slava-Express ist an seinem Ziel angekommen.

„Ich will die Grenze zwischen Kunst und Leben verwischen“, sagt der 57-Jährige. Das macht der gebürtige Russe seit nunmehr 15 Jahren mit seiner „Snowshow“, die schon um den ganzen Erdball getourt ist. Aufgebaut hat er das Ensemble aber im Westen. Nachdem er verstehen musste, dass es im Russland der Neunziger „niemanden gab, der sich für Kunst interessierte.“ Auch nicht für die „Akademie der Narren“, mit der Polunin der russischen Karnevalskultur zur Wiedergeburt verhelfen wollte. „Raum für Gefühle wie Freude, Freiheit und Anarchie“ wollte er nach dem Ende der Sowjetunion schaffen. „Aber die Menschen dachten daran, wie sie ihre Familie ernähren sollten.“ Und Anarchie gab es in der Jelzin-Ära im realen Leben schon zur Genüge.

Seit 2001 hat sich das wieder geändert. „Jetzt taucht hin und wieder ein Oligarch auf, der dir Geld gibt und sagt „Mach mal.“ Auf diese Weise hat Polunin im Oktober 2007 seine „Stadt der Träume“ im Moskauer Park „Kolomenskoje“ verwirklicht, wo er in Christo-Manier den ganzen Park in eine Märchenwelt aus weißen Federn verwandelte. Mit dem Blankoscheck aus Oligarchenhand ließ er kurzerhand seine Lieblingskünstler aus der ganzen Welt einfliegen und inszenierte eine acht Stunden lange Performance. „Die Leute, die dort hinkamen, verloren die Orientierung: Das war nicht Show oder Theater, sondern das Leben von allen Teilnehmenden“, sagt Polunin. Etwas Ähnliches wird er dieses Frühjahr zum Karneval in St. Petersburg veranstalten. Und in Moskau soll es ab dem Sommer sogar ein „Schiff der Narren“ geben, eine schwimmende Polunin- Welt also.

Was hat das alles noch mit der klassischen Clownerie à la Gehen, Stolpern, Fallen, Aufstehen, wieder Stolpern, wieder Fallen zu tun? Die „Snowshow“ heißt in Russland „sNeschnoje Show“, im russischen Wort für Schnee steckt auch „zärtlich“. Nach dieser Mischung fühlt sich der Fluss der „Snowshow“ an. „Zärtlichkeit, Atmosphäre, Träume“ – davon spricht Polunin auch, wenn man ihn nach seinem Verständnis der Clowns-Mission fragt. Die Zeiten, in denen er in vier Minuten 25 Gags packte, damit die Leute „von den Stühlen fielen und nicht mehr atmen konnten vor Lachen,“ seien lange vorbei. Heute erklärt er Clowns, die mit ihm arbeiten wollen: „Versuch bloß nicht, die Leute zum Lachen zu bringen. Wenn du Dinge mit Freude machst, dann kommt das Lachen von selbst.“ Es müsse so sein, als sitze man mit Freunden in einer Küche: „Dann sagt einer ein Wort, und alle fangen an zu lachen – der guten, gelösten Stimmung wegen.“

Die besten Momente hat die „Snowshow“ nicht unbedingt dann, wenn sie unter den Klängen von Carmina Burana braust und tobt: Manchmal scheint es sogar, als zolle Polunin hier der modernen Effekt-Geilheit ein bisschen zu viel Tribut. Slava und die anderen Clowns mit den riesigen Segelohrenmützen wirken dann am besten, wenn Bewegung, Geräusche und Effekte auf ein Minimum reduziert sind. Ein Mantel hängt am Kleiderständer, Slava steckt seinen Arm in den Ärmel und spielt Abschied, ob von der Mutter oder der Freundin, spielt keine Rolle. Alles konzentriert sich auf das Gesicht Slavas, wie es auf das Streicheln und Tätscheln der Abschiednehmenden reagiert. Wie nah ist allen dieser Abschied! Man möchte weinen, und doch lachen – eine Eigenheit des russischen Humors übrigens.

„Muss ich heute zwischen Stille und Lachen wählen, wähle ich die Stille. Denn Stille bedeutet Aufmerksamkeit“, sagt Slava Polunin und formuliert damit sein Credo. Dass der Wind bläst, der Schnee in Massen fällt, dass die Elemente ihre Widerspenstigkeit demonstrieren, ist nur Vorbereitung für den einen atemstockenden Moment, da Slava einen Besen über die Zuschauer hält, ihn leicht dreht, und ein einziger kleiner Papierschnipsel segelt langsam auf den Kopf eines Zuschauers.

Slavas „Snowshow“, bis 27. Januar im Admiralspalast. Mehr Informationen unter 479 9 74 99 oder im Internet: www.admiralspalast.de.

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