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Meret Becker und Thomas Heinze in "Lügen und andere Wahrheiten".

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Vanessa Jopps „Lügen und andere Wahrheiten“: Das große Flunkern

Wo beginnt Verlogenheit? In Vanessa Jopps Tragikomödie "Lügen und anderen Wahrheiten" winden sich die Figuren zwischen Verzweiflung, Faulheit und der Angst vor Verstrickungen.

Carlos (Thomas Heinze) wollte bis zur Hochzeit nüchtern bleiben. Doch das Fleisch ist schwach. Und in der Nacht nach einem Absturz mit seinen Kumpels, an deren Ende er die gesamte Puffrechnung übernimmt und in Schlangenlinien vor der Polizei herfährt, pinkelt er sturztrunken ins Bett. In dem seine Verlobte Coco (Meret Becker) schläft, der er kurz vorher Abstinenz versprochen hatte.

So viel Peinlichkeit kann man nur dreist weglügen, oder? Wie der designierte Ehemann versucht, unbemerkt das eingepieselte Spannbettlaken unter der schlafenden Freundin zu wechseln – das hätte als Schenkelklopf-Witz im Wortsinn danebengehen können. Regisseurin Vanessa Jopp schafft es in ihrer Tragikomödie "Lügen und andere Wahrheiten" jedoch, den Slapstick in Grenzen zu halten – angesichts von Figuren, die sich aus Verzweiflung, Faulheit oder Angst in Lügen verstricken.

Selbst der kontrollsüchtigen Zahnärztin Coco, der Meret Becker eine herrlich gallige Bodenständigkeit mitgibt, oder ihrer Freundin, der in paillettenbesetzten Hippiewesten auftretenden Künstlerin Patti (Jeanette Hain), die blumige Vaginas malt, schaut man trotz aller Klischees gern zu. Pattis und Cocos Yogalehrer Andi, der zu Cocos Entsetzen zwar Nacktheit, aber keinen Orgasmus mit ihr will, wird hochgradig überzeugend von Florian David Fitz gespielt. Mit plausibler Körpersprache gibt Fitz beiläufig Hinweise darauf, wieso sich Andis Körperlichkeit seit Jahren auf Yoga beschränkt: „Dein Rückentattoo sieht aus wie ein Pitbull“, ahnt Patti, als sie mit ihm weitestgehend sexfrei im Bett liegt.

Jopp hat ihrem Cast größtmögliche Freiheit gegeben

Jopp hat ihrem Cast größtmögliche Freiheit gegeben: Im Abspann sind sämtliche Schauspieler als an der Figurenentwicklung Beteiligte aufgeführt. Vielleicht deshalb wirken Meret Becker, deren Coco eine zimtzickige, bewundernswert konsequente und zuweilen verzweifelte Verlobte ist, und Fitz als anziehender, getriebener Yogi so authentisch. Heinzes Carlos ist dazu von obergeläufiger Lakonie und Konfliktscheu: So sind sie, die Menschen. Und wie Carlos verspielen sie, da mögen sie so so drollig wie Teddybären sein, viele Chancen.

Denn alle Menschen lügen. Ob Verlogenheit beim Verschweigen der Wahrheit beginnt, wie Coco es Carlos vorwirft. Oder ob das Verbiegen der Umstände, wie die Zahnarzthelferin Vera (Alina Levshin) es versucht, bereits ein Kapitalverbrechen darstellt. Coco kündigt Vera, die daraufhin erfinderisch, später gar kriminell werden muss. Doch auch Vera wird angeschwindelt, von Menschen, denen sie blind vertraut. Bestimmt die schrecklichsten aller Lügen.

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