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Die 18-jährige Maria (Marlene Burow) beginnt in „Irgendwann werden wir uns alles erzählen“ eine Affäre mit einem älteren Mann.

© MDR/Pandora Film/Row Pictures

Der erste Berlinale-Wettbewerbstag: Ein Land vor unserer Zeit

Zwei Zeitkapseln im Wettbewerb: eine Komödie über die Erfindung des Blackberrys und Emily Atef über eine toxische Beziehung

Von Andreas Busche

Auf Filmfestivals ist das Handy inzwischen unerlässlich; nicht nur als mobiles Büro, aus dem man, während auf der Leinwand schon der Sternenregen flimmert, noch schnell eine Textnachricht an die Redaktion schickt. Ohne Handy wird auch der Kinobesuch immer komplizierter, falls man zuhause nicht noch einen Drucker herumstehen hat (absurde Vorstellung), mit dem man von dem „Mobile Ticket“ aus der Email eine Holz-Version erstellen kann. Passenderweise unternimmt die Berlinale gleich am ersten Wettbewerbstag einen unterhaltsamen Exkurs in die Medienarchäologie mit der kanadischen Komödie „BlackBerry“, benannt nach „dem Mobiltelefon, dass alle hatten, bevor sie sich ihr erstes iPhone kauften“, wie es einmal im Film heißt.

Selbstständigkeit in abhängiger Erwerbstätigkeit

Kanada in den späten 1990er Jahren: Die erste Internet-Bubble ist gerade geplatzt, Pager sind das nächste große Ding auf dem Markt der mobilen Kommunikation, Handyminuten noch teuer und Google eine obskure Suchmaschine aus dem Silicon Valley. Die Entwickler Mike Lazaridis (Jay Baruchel) und Doug Fregin, gespielt vom Regisseur Matt Johnson, hocken mit einem Haufen ungewaschener Nerds in T-Shirts mit Videospiel-Logos (Mortal Kombat!) in den Büroräumen einer Shopping Mall und verbrennen Millionen von Dollar mit der Erfindung eines Geräts, das dem Menschen im modernen Kapitalismus das größte Gut verspricht: Selbstständigkeit in abhängiger Erwerbstätigkeit.

Das Blackberry ist heute tatsächlich nur noch eine Fußnote in der mobilen Kommunikation, Johnson hat aus der kurzen Erfolgsgeschichte eine schnelle Arbeitsplatzkomödie gemacht: was passiert, wenn Innovation auf ungehemmtes Investmentkapital trifft. Auch „BlackBerry“ wird wohl nur eine Fußnote einer noch jungen Komödienspielart bleiben, die Adam McKay mit „The Big Short“ bereits perfektionierte. Aber er ist ein unterhaltsamer Auftakt für den Berlinale-Wettbewerb, in dem es traditionell wenig zu lachen gibt.

Emily Atef mit dem ersten deutschen Beitrag im Wettbewerb

Auch Emily Atef öffnet mit ihrer Romanverfilmung „Irgendwann werden wir uns alles erzählen“ eine Zeitkapsel, diesmal in den Sommer 1990 in der ostdeutschen Provinz. Die Mauer ist gerade gefallen, die DM-Scheine werden von Dorfbewohnern misstrauisch beäugt: Sie sind der Grund, warum die Betriebe plötzlich dicht machen und die Arbeitslosigkeit steigt.

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Die 18-jährige Maria (Marlene Burow) hat im Gegensatz zu ihrem Freund Johannes (Cedric Eich), der von einem Fotografie-Studium an der Kunsthochschule Leipzig träumt, keine Lust, das Vertraute nicht hinter sich lassen. Zu ihrem Anker wird der zwanzig Jahre ältere Bauer Henner (Felix Kramer), der das Mädchen mit einer einzigen Berührung in Bann schlägt. Aber ihre heimliche Affäre entwickelt eine destruktive Dynamik.

Atef erzählt vom weiblichen Begehren, bei dem nie ganz klar wird, wie sehr es zu den Umbrüchen ihrer Zeit in Bezug stehen. Burow, die gerade noch in „In einem Land, das es nicht mehr gibt“ über den inneren Aufbruch in den letzten Jahren der DDR die Hauptrolle spielte, lässt sich von dem älteren Mann nicht objektifizieren, ihre Unterwerfungsgesten entspringen vielmehr einer Selbstbestimmtheit, die zunächst spielerischer Natur ist.

Interessanterweise ist das Verhältnis zwischen Maria und Henner komplexer als die Figuren selbst. Aus ihren Blicken spricht keine Neugier für die Körper, auch der Sex wirkt eher instinktiv. Als feministische Selbstermächtigung bleibt „In einem Land, das es nicht mehr gibt“ ambivalent, umso überzeugender ist das Zeitkolorit, das Emily Atef vom Landleben entwirft. Jahrzehnte bevor es zur Projektionsfläche für gelangweilte Großstädter wurde.

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