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Monumental. Der moderne, 1984 eingeweihte Friedrichstadt-Palast verfügt über die größte überdachte Showbühne der Welt.

© Soenne

100 Jahre Jubiläum: Der Friedrichstadt-Palast sollte das Las Vegas an der Spree werden

Das berühmte Theater in Mitte feiert „100 Jahre Bühnengeschichte“. Die begann aber nicht mit Revuen. Und fand 1980 fast ein Ende. Ein Porträt.

Den 29. Februar 1980 wird jeder, der ihn im weiten Rund des alten Friedrichstadt-Palasts erlebte, nie vergessen: Die Abendvorstellung war die letzte in diesem traditionsreichen Haus gleich rechts neben dem Berliner Ensemble.

Am Schluss des maritimen Programms „Seekiste“ kämpfte Intendant Wolfgang E. Struck mit den Tränen. Die Damen vom Ballett standen an der Rampe und heulten hemmungslos, und auch im Saal flossen die Tränen.

Im Varieté der 3000 senkt sich zur „Berliner Luft“ der Eiserne Vorhang. Nie mehr die leichte Muse am Schiffbauerdamm? Die Witze, die Revuen, Sangesgrößen, Zauberer, Akrobaten, Musiker? Die Kessel Buntes? Quermanns Frühstück und Gänsebraten?

Berlin war ärmer geworden. Die verfaulten Fundamentpfeiler im Boden wurden zum Sicherheitsrisiko, die Gründungskonstruktion verschlechterte sich. Lebe wohl, du altes Haus!

Erich Honecker, dem nachgesagt wurde, für die Mädels vom Ballett ein großes Faible zu haben, soll dafür gesorgt haben, dass sehr schnell beschlossen wurde, einen neuen Palast zu bauen – mit allen Schikanen, die die moderne Technik und Ausstattung bietet.

Der Architekt tanzte auf der Bühne

Es sollte eine Art Las Vegas an der Spree werden, Wien, Kopenhagen und natürlich Paris sollten die Paten sein. Eine Baudelegation wurde in Europas Lustbarkeitszentren geschickt, und Manfred Prasser, der Entwurfsarchitekt, wurde im Moulin Rouge auf die Bühne geholt, um mit den Mädels vom Ballett einen Can-Can auf die Bretter zu legen.

Das Publikum amüsierte sich prächtig, weil Prasser, kein Kind von Traurigkeit und alles andere als ein graziler Tänzer, seinen Witz in die Darbietung legte und am Ende als Sieger der Show eine Flasche Champagner ertanzte, die die Delegation auf der Stelle austrank. Die schmalen Tagegelder der Delegation hätten solchen Luxus niemals hergegeben.

„Und dennoch habe ich unsere DDR würdig vertreten“, sagte der Architekt augenzwinkernd.

Monumental. Der moderne, 1984 eingeweihte Friedrichstadt-Palast verfügt über die größte überdachte Showbühne der Welt.
Tropfsteinhöhle nannten die Berliner den expressionistischen Zuschauerraum, den Architekt Hans Poelzig 1919 für Max Reinhardt geschaffen hatte.

© Archiv TU Berlin

Ihm und seinen Mitstreitern gelang es, das neue Haus, gleich um die Ecke vom alten mit der Adresse Am Zirkus, so auszustatten, dass vieles möglich wurde: spannende Trapeznummern mit fliegenden Menschen unter der Revuetheaterkuppel, große Orchester, Wasserballett und Eistanz, Videoeinspielungen und die berühmte Girlreihe mit 32 Tänzerinnen, die ihre 64 Beine über die riesige Bühne schwenken.

Premiere im neuen Haus war am 27. April 1984. Jetzt, 35 Jahre später, treffen wir im Palast-Foyer den einstigen Oberbauleiter Jürgen Ledderboge. Der Diplomingenieur hat die Bauablaufpläne von damals mit einer „gleitenden Planung“ mitgebracht: exakte Termine für alle Beteiligten, und die kamen von den besten Betrieben im Land nach Berlin, quasi Gastarbeiter.

Jürgen Ledderboge sieht viel jünger aus, als er ist, er leitet ein Ingenieurbüro für Bauplanung und Bauberatung und fühlt sich wie ein Letzter der Mohikaner vom Palast-Bau. Sein Stolz: „Das Haus sollte 219 Millionen Mark kosten, wir haben mit 213 Millionen abgeschlossen.“

Dabei waren sie auch an diesem Bau Meister der Improvisation. Um im Foyer an den alten Palast und seine berühmten Stalaktiten im Zuschauerraum erinnern zu können, sollten Glasstäbe als versetzte Lampen an die Wände. Aber woher nehmen?

Designer brachten die Lösung – mit umfunktionierten Röhren, die für Rindermelkanlagen bestimmt waren. Sieht auch heute noch schick und praktisch aus.

Das modernste Kind der Palast-Generationen

Eigentlich ist der jetzige Friedrichstadt-Palast mit der Adresse Friedrichstraße 107 das letzte und modernste Kind in der langen Reihe der Palast-Generationen. Wenn am heutigen Freitag „100 Jahre Bühnengeschichte“ gefeiert werden, dann ist die Referenz dafür der 29. November 1919.

Damals das Große Schauspielhaus, aber nicht mit einer Revue, sondern mit der „Orestie“ von Aischylos unter der Regie von Max Reinhardt. Auch diese Bühne aber hatte ihre Vorgeschichte. 1867 wurde an dem Standort die erste Markthalle Berlins nach Pariser Vorbild als riesige Eisenkonstruktion errichtet. Die Berliner jedoch nahmen dieses Gebilde nicht an, zu Weihnachten 1873 gab es dort statt Kartoffeln und Gemüse also Zirkus mit gigantischen Ausmaßen. Und Pferden in der Arena des „Markthallen-Zirkus“.

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Dem Cirkus Renz folgt der Amüsierbetrieb „Riesen-Olympia-Theater“, dann ab 1899 der Zirkus Schumann mit Pferdedressuren. Albert Schumann wirft im Frühling 1918 das Handtuch, die Berliner wollen statt der Pferde Raubtiere sehen, außerdem requiriert der preußische Staat die Zirkuspferde für die Kavallerie.

Das Jubiläum ist ein Bürgerfest

Also kommt Max Reinhardt, lässt das Haus abermals umbauen: Architekt Hans Poelzig ersetzt die Markthallenarena durch eine Stuckdecke mit tropfenförmig herabhängenden Zapfen: Für die Berliner ist der riesige Musentempel nun eine „Tropfsteinhöhle“.

Wie wird das 100-jährige Jubiläum eines Hauses, das nun an einer anderen Stelle steht, gefeiert? Nicht mit VIPs, sondern mit ganz normalen Berlinerinnen und Berlinern. Nicht einmal der Aufsichtsrat des Hauses bekommt Freikarten. Für den Abend, an dem die aktuelle Show „Vivid“ gezeigt wird, wurden stattdessen Einladungen an Polizei und Feuerwehr geschickt, an Krankenhäuser und Pflegedienste.

Guido Herrmann, der Verwaltungsdirektor, sagt: „Es war ein Jahrhundert, in dem das Theater seine Bestimmung, seinen Namen und selbst seinen Ort wechselte. Ein Jahrhundert, in dem Systeme wechselten, ganze Welten sich drehten – die Bühnengeschichte des Hauses aber immer weiterging.“

Wer mag, kann montags von 11–17 Uhr sowie dienstags bis sonntags von 11–14 Uhr das Foyer des Friedrichstadt-Palasts besichtigen. Dort ist auch eine kleine Ausstellung zur Geschichte des Hauses zu sehen.

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