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Der Berliner Schriftsteller Hartmut Lange, 82.

© akg-images / Anna Weise

Neuer Novellenband: "Der Lichthof" von Hartmut Lange

Unerhört ist hier alles: Der Berliner Schriftsteller Hartmut Lange erzählt in „Der Lichthof“ meisterhafte Geschichten vom Scheitern.

Hartmut Lange ist ein höflicher Erzähler. Er führt die Figuren in den vier Novellen dieses schmalen Bändchens (Diogenes Verlag, Zürich 2020.95 Seiten, 22 €.) zwar zuverlässig in Situationen ohne Auswege, aber niemals führt er sie vor. Eher zieht er sich taktvoll zurück, beobachtet aus der Ferne. Etwa in der Titelgeschichte, „Der Lichthof“.

Sie erzählt von einer Architektin, die mit ihrem Ehemann eine geräumige Altbauwohnung bezieht. Die Wohnung ist schön renoviert, hat Stuck. Nur der heruntergekommene Lichthof stört. Die Ehe scheitert, ganz unspektakulär, eigenartig kalt. Der sowohl von Abscheu als auch von Faszination getragene Sog, den die verlotterte Altbautiefe des Lichthofs hinter dem Badezimmerfenster auf die fragile Protagonistin ausübt, wird am Ende unermesslich: „Die Tür ins Parterre, wo früher einmal der Dienstboteneingang war, hatte man zugemauert. Damit hatte niemand mehr Zugang zum Hof. Es sei denn, er benutzte das Fenster“.

Das Ende kommt hier immer mit einem leisen Schrecken

Das klingt beinahe böse. Es verhält sich aber so: Lange reißt seine Geschichten zärtlich an; blickt akkurat auf Einzelheiten, zeichnet die Gedanken seiner Charaktere; wirbt für sie und ihre Entscheidungen. Ihre Geschichten handeln vom Altern, von damit verbundenen Entwicklungen, die allerdings stets in einem schönen Gegensatz zu den scheinbaren Tugenden der Zeit stehen, zu zwanghaft positivem Neuanfang und Selbstoptimierung. Die Enden kommen mit leisem Schrecken.

Aber bei allen Bedrohlichkeiten, allem Schaudern: Scheitern lässt Lange seine Figuren nicht. Er inszeniert Situationen, die unausweichlich erscheinen, die Reaktionen stehen dann jenseits gängiger Verhaltensmuster. Er arbeitet Momente heraus, in denen die menschliche Statik zusammenbricht; ob das unvermittelt oder mit Ansage passiert, lässt sich von außen kaum bestimmen, die Charaktere fügen sich dem klang- und klaglos.

Da ist zum Beispiel der alternde Schauspieler, der bemerkt, dass er manches nicht mehr kann. Dabei trauen ihm die anderen doch noch so viel zu. Jetzt soll er also den Fremden in Ibsens „Frau vom Meer“ spielen und scheitert körperlich schon daran, auf der Bühne über die Attrappe eines Gartenzaunes zu klettern. Er begibt sich schließlich gleich zweimal auf eine Studienreise an die Nordsee, er möchte das Stück besser verstehen, dessen Protagonistin und auch das Meer.

Oder der Mann, der während zwei Reisen nach Italien feststellt, dass seine Partnerin sich obsessiv mit dem Navigationsgerät im Auto beschäftigt. Er verflucht das Ding. Sie lässt sich von dem Gerät gern dorthin führen, wo es bestimmt nicht weitergeht.

Man erkennt sofort die DNA von Langes Charakteren

Der 82 Jahre alte Hartmut Lange schreibt seine Novellen seit langer, langer Zeit. Wer einige seiner Bücher gelesen hat, erkennt die DNA seiner Charaktere wieder, mag bisweilen sogar die groben Bogen der Handlung vorab erschließen. Vor allem erkennt man Langes ruhige, präzise Sprache.

Man fühlt sich also sofort zu Hause in diesen Geschichten und weiß: Es gibt schlichtweg niemanden, der so schreibt. Selten gelang es dem Berliner Schriftsteller, seine kleinen Geschichten so sehr auf ihre Essenz einzudampfen wie in diesem Buch; beinahe sind die vier Novellen Short Storys, wäre die „unerhörte Begebenheit“ nicht in jeder von ihnen so fest verankert. Hartmut Langes größtes Talent ist es, dieses Unerhörte nahtlos in die Geschichte einzukitten.

„Der Lichthof“ endet mit einer autobiografischen Erzählung: „In eigener Sache“ heißt die, Lange berichtet von Weihnachten 1944 und aus dem besetzten Polen, wo der Vater als Polizist arbeitet. Er macht dabei einen reizvollen Gegensatz auf zwischen den Verzückungen der Kindheit und dem kommenden Krieg, erzählt erst vom Engelshaar am Weihnachtsbaum und ein paar Seiten später vom Treck nach Westen, schließlich von der gewalttätigen Mutter, die mit 55 Jahren stirbt, bevor er Anerkennung als Schriftsteller erfährt. „Dies ist eine sonderbare Erfahrung, dass ich mich auch der schrecklichsten Einzelheiten gern erinnere“, schreibt er, und vielleicht ist dieser Satz zentral für das gesamte Buch.

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