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Das andere Baumhaus. In Mailand steht der „Bosco Verticale“, der vertikale Wald des italienischen Architekten Stefano Boeri. Pflanzen spenden Schatten und bilden Sauerstoff. Er könnte Vorbild für das „Europäische Bauhaus“ sein.

© picture alliance/dpa

Grüner Deal für Architektur: Der Plan eines „Europäischen Bauhaus“ setzt falsche Impulse

Der Bausektor treibt den Klimawandel an. Mit einem „Europäischen Bauhaus“ will die EU-Kommission gegenwirken. Doch sie vergisst ihre eigenen Vorarbeiten.

Schön, nachhaltig, gemeinsam – so klingt es, wenn die Europäische Kommission im Rahmen ihres „Green Deal“ die Architektur entdeckt. Was EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen Ende letzten Jahres als Initiative für ein neues Europäisches Bauhauses ankündigte, wird nun inhaltlich etwas unterfüttert.

Es gehe darum, „Nachhaltigkeit und Ästhetik zu vereinen, um den europäischen Grünen Deal in den Köpfen der Bürgerinnen und Bürger und auch in ihrem Zuhause Realität werden zu lassen“.

Bis zum Sommer werden Vorschläge gesammelt, um dann „allgemein anerkannte konkrete zeitgenössische Beispiele“ zu zeigen, die das neue Europäische Bauhaus verkörpern. Schwer vorstellbar, wie dieses neue Bauhaus aussehen soll. Ein Paul Klee-Gemälde auf Dämmstoffplatten? Oder ein Teppich von Annie Albers mit nachhaltiger Weberei?

Im September startet die Realisierungsphase, ab Januar 2023 sollen die Früchte dieses neuen europäischen Bauhauses in ganz Europa sichtbar werden. Der Klimawandel wartet schließlich nicht auf die EU.

Vager können Konzepte kaum formuliert sein, als auf der jüngst freigeschalteten Webseite des Projekts (https://europa.eu/new-european-bauhaus/index_de). Wer sich dort einen ersten Eindruck verschaffen will, sollte einen hohen Grad an ästhetischer Toleranz mitbringen, so banal ist die Gestaltung. Für die ästhetische Zukunft des grünen Bauhaus-Deals verheißt das wenig Gutes.

Ein fragwürdiger Marketingcoup

Das Thema ist ernst. Der Bausektor verschlingt Unmengen der weltweit verbrauchten Energie, laut einem UN-Report knapp 40 Prozent. Damit ist das Bauen ein Treiber des weltweiten CO2-Ausstoßes.

Das liegt an energieintensiven Baumaterialien wie Beton und Stahl. Insofern ist es unverzichtbar, die gestaltete Umwelt klimafreundlicher zu machen. Die Europäische Kommission liegt damit richtig, obwohl sie spät auf den fahrenden Zug springt.

Erforschung und Verwendung alternativer Baumaterialien sind längst in der Praxis angekommen. Einen zusätzlichen Schub können sie gleichwohl vertragen. Hilfreich allerdings wäre es gewesen, wenn sich die Kommission nicht mit ihrem neuen Label selbst ein Bein gestellt hätte. Neues Europäisches Bauhaus, das klingt herrlich konsensfähig. Bauhausgründer Walter Gropius würde über diesen posthumen Marketingcoup jubeln.

Mit dem Rückgriff auf das Bauhaus wird ohne Not einerseits die gesamte traditionelle Architektur ausgeblendet, die jahrhundertelang mit regional anstehenden Materialien und Formen gearbeitet hat. Andererseits stellte das selbstverliebte Bauhaus nur einen ziemlich dünnen Faden der modernen Architektur und Kunst dar.

Ganz bewusst blendeten Gropius & Co. solche Strömungen aus, die wie Hans Scharoun, Erich Mendelsohn oder Hugo Häring mit einer organischen Architektur die Einheit von Bauen und Landschaft thematisierten. Eine grüne Baukultur benötigt aber gerade dieses integrierte Denken und Planen.

Es braucht nicht noch ein Label

Noch fragwürdiger erscheint es, dass die Europäische Kommission nicht auf eigene Vorarbeiten zurückgreift. Mit der „Davos Deklaration“ von 2018 besitzt Europa ein herausragendes Instrument für seine baukulturellen Entwicklungen. Von den Kulturministern beschlossen, wies sie bereits vor drei Jahren darauf hin, dass es „höchste Zeit ist, Maßnahmen zu ergreifen, die gewährleisten, dass die gegenwärtigen und zukünftigen sozialen, wirtschaftlichen, ökologischen und klimatischen Entwicklungen und Trends die Qualität der gebauten Umwelt nicht weiter schmälern, sondern als Chance für Verbesserungen genutzt werden.“

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Anstatt mit einem neuen Europäischen Bauhaus ein weiteres Label mit schmackhaften Fördertöpfen zu schaffen, hätte sich die Kommission besser auf sich selbst besonnen. Wie beim Hausbau gilt es, auf den vorhandenen Fundamenten weiterzubauen. Dort beginnt wirkliche Nachhaltigkeit: in der Erhaltung des gebauten Bestands und seiner grauen Energie, also jener Energie, die bereits beim Bauen verwendet wurde.

Wie will die Europäische Kommission so nachhaltige Impulse aussenden?

Es ist ein Skandal, wenn Häuser nach gerade einmal 50 Jahren oder noch früher wieder abgerissen werden, um Neubauten Platz zu machen. Gleichwohl sind die Beispiele für diese unverantwortliche Ressourcenverschwendung bis heute zahlreich – auch in Berlin.

Aus der (Bau-) Geschichte lernen bedeutet also nicht, via Instagram und Pinterest ein neues Bauhaus zu proklamieren, sondern demütig an Haus, Stadt, Land und Gesellschaft weiterzubauen. Dafür gibt die „Erklärung von Davos“ kluge Ideen.

Wie aber will eine Europäische Kommission nachhaltige Impulse aussenden, wenn sie nicht einmal in der Lage ist, nachhaltig mit jenen Ideen umzugehen, die bereits in ihrem eigenen europäischen Haus formuliert wurden?

Jürgen Tietz

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