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Der Musiker Sam Fender kam 1994 zur Welt.

© Universal

Sam Fender und Lewis Capaldi: Der Popstar als achtsamer Mann

Musiker wie Sam Fender und Lewis Capaldi verkörpern einen neuen Typus von Star im britischen Pop. Beide treten im Februar in Berlin auf.

Ohne Allüren, aber mit viel Verständnis: Im britischen Pop ist der Typus achtsamer Mann ganz oben angekommen. Sam Fender und Lewis Capaldi verkörpern ihn perfekt. Im Herbst 2018 gab Sam Fender, damals frisch unter Vertrag bei Universal Records, ein Konzert im Berliner Auster Club.

Der Abend war ausverkauft, die Laune des Künstlers blendend. Nach dem Auftritt fand sich die übliche Gemengelage aus Freunden, Journalisten und Musikindustrie-Nasen in dem kleinen Backstage-Raum ein, um ein paar warme Worte loszuwerden.

Sam Fenders Döner-Liebe

Fender nahm sie geduldig entgegen, richtig leidenschaftlich wurde er aber erst, als es um ein ganz besonderes Thema ging: den Berliner Döner. Den mochte der Brite so gerne, dass er vor dem Konzert hamsterte: gleich mehrere Exemplare des beliebten Snacks lagen liebevoll in Alufolie eingekleidet am kleinen Merchandise-Stand. Ob sie für Fenders Team bestimmt waren oder Heißhungerattacken im Publikum bekämpfen sollten, blieb eigenartig unklar.

Diese Döner-Liebe entwickelte rasch einen Spin. Journalisten fragten in Interviews danach, einige klapperten mit ihm die einschlägigen Hauptstadt-Adressen ab. Fender wiederum verkauft auf seinen Konzerten nicht nur T-Shirts mit dem klassischen Bild des Dönermannes, sondern auch Knoblauch- und Chili-Sauce.

Beschäftigung mit toxischer Männlichkeit

Das mag eine kleine Episode sein, aber sie sagt eine Menge über Sam Fender aus. Er sei, so teilte er unlängst der „Interview“ mit, eben ein ganz normaler Junge aus einer Arbeiterstadt. Und da ist diese Form der Ernährung eingepreist. Wo man bei anderen Künstlern so eine Aussage wohl als Marketing verbuchen würde, passt sie bei ihm ins Bild.

Der 25-Jährige aus dem britischen North Shields ist Prototyp einer neuen Art Popstar. Dabei geht es nicht nur um ausgestellte Bodenständigkeit, die war in den letzten Jahren immer mal wieder zu erleben. Vielmehr beschäftigt sich Fender auf eine interessante Art mit dem, was man als toxische Männlichkeit bezeichnen könnte, indem er in Interviews offen aus seiner Kindheit berichtet: von Fußballspielen, an denen er wegen Asthma nicht teilnehmen durfte und wie ihm gesagt wurde, er solle nicht weinen – das machten nur Mädchen.

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Vor allem schafften es solche Themen in seine Songs: Der Titeltrack seiner 2018 erschienenen Debüt-EP „Dead Boys“ handelt von der hohen Selbstmordrate unter männlichen Teenagern in seiner Heimatstadt. „Diese archaische, veraltete Idee, wie ein Mann sich zu benehmen hat, ist etwas, das Männer tötet“, sagte er dem britischen „NME“.

Das Medienecho war riesig. Das lag sicher auch daran, dass Fender die ernste Botschaft in einen Rocksong goss, der sofort ins Ohr ging, der abgedunkelte Indie-Töne der Interpol-Schule mit dem Mainstream-Appeal von Coldplay oder U2 verband. Im vergangenen Spätsommer erschien Fenders Debütalbum „Hypersonic Missiles“. Es erreichte aus dem Stand den Spitzenplatz der britischen Albumcharts.

Auch hier finden sich politische Songs, etwa „White Privilege“ oder „Leave Fast“; Nummern, die von der Trostlosigkeit des seit Dekaden im Abstieg befindlichen Arbeiter-Milieus Nordenglands berichten. Seit er denken könne, so sagt Fender, habe ihn jeder Premier Großbritanniens wütend gemacht.

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Mit solchen Sätzen dürfte er auch all diejenigen erreichen, denen Themen wie toxische Männlichkeit eher egal sind. Das verbindet ihn mit Bruce Springsteen, seinem wohl größten Vorbild. Die entsprechende Verortung besitzt er ohnehin: Als Teenager spielte er Springsteens Songs vor allem in den lokalen Pubs – wie schon sein Vater und seine Brüder.

Gleichzeitig knallblöd und irre witzig

Die Verbundenheit mit der Heimat ist eine Trumpfkarte, die auch Lewis Capaldi gerne zieht. „The Scottish Beyonce on a London Underground Billboard. Finally famous“, stand auf XXL-Postern geschrieben, die in England geklebt wurden, als er im vergangenen Mai sein erstes Album „Divinely Uninspired To A Hellish Extent“ veröffentlichte.

Daneben sah man seinen Kopf, nachlässig ausgeschnitten, mit einer Sonnenbrille versehen und bedeckt von einem Handtuch-Turban. Das wirkte gleichzeitig knallblöd und irre witzig. Es wirkte auf jeden Fall nicht wie die Marketing-Kampagne eines Nummer-Eins-Künstlers.

Der 23-jährige Musiker Lewis Capaldi.

© Alexandra Gavillet/Universal

Aber wie Fender stach auch Capaldi in Sachen Hitparade mit seinem Debüt die Konkurrenz aus. Und wie Fender verfügt Capaldi über einen Eigensinn, der ihn von der Konkurrenz unterscheidet. Zwar sind die Songs, die er schreibt, Liebeslieder, meist inszeniert als waidwunde Balladen aus der James-Blunt-Schule. Aber auf die üblichen Insignien eines Stars verzichtet er völlig. Stattdessen gibt er den Klassenclown der Pop-Schule.

Als Resonanzraum hat er dabei die sozialen Netzwerke entdeckt. So kannten viele seinen Namen vor seiner Musik. Da hatte sich Capaldi auf Twitter unter anderem einen Schlagabtausch mit dem Britpop-Platzhirsch geliefert: Noel Gallagher nannte Capaldi in einem Interview einen „Idioten“. Der wunderte sich darüber, dass einer, der alt genug sein könnte, sein Vater zu sein, ihn so plump beleidigte.

Ed Sheeran hat den Trend vorbereitet

Der Streit schaukelte sich auf eine Art und Weise hoch, wie das wohl nur im skandalverliebten England möglich ist. Auch Fender gab ein paar Statements ab. Er ist natürlich ein Freund Capaldis, erzählt gerne, wie der ihm bisweilen betrunken Kurznachrichten schickt.

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Der Erfolg Fenders und Capaldis kam nicht über Nacht. Andere arbeiteten vor: Etwa Ed Sheeran, der vom tollpatschigen Alleinunterhalter zu einem der größten Stars der Welt wurde oder Rag’n’Bone Man, der vor dreieinhalb Jahren die Blues-Hymne „Human“ schmachtete. Und weitere sensible Männer reüssierten in den vergangenen Jahren – zum Beispiel Dermot Kennedy, der seine verzweifelten Lieder aus der irischen Provinz anders als die Kollegen noch ein Stück Richtung Trap und Hip-Hop schob.

Gemein haben sie zwei Dinge, die sich verschränken: Es sind normale Typen, weder cool noch uncool, nicht sonderlich teuer gekleidet, irgendwie witzig. Männer, die in der Kneipe neben einem stehen könnten, die einem ihr Ohr leihen würden und einen Fünfer für Tabak. Darin wiederum liegt eine Abgrenzung zum Popstar nordamerikanischer Prägung, zu Drake oder Kanye West, die der klassischen Idee des Popstars als Kunstfigur nachhängen. Ob die während ihrer Berlin-Besuche jemals einen Döner genossen haben, ist nicht überliefert.
Lewis Capaldi, 9.2., Verti Music Hall. Sam Fender, 28.2., Columbiahalle

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