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A Star is born. Nellie LaRoy (Margot Robbie) als Partygast beim Filmmogul.

© Paramount Pictures/Scott Garfield

Die Albtraumfabrik: Damien Chazelle zeigt Hollywoods Anfänge als fiebriges Bacchanal

Starkino aus und über L.A.: Das Historiendrama „Babylon – Rausch der Ekstase“ erzählt vom Wachstum der Filmmetropole und der Umbruchzeit von Stummfilm zu Talkies.

Die Zeiten sind zu derb für subtile Mittel. Was bei der körperausscheidungsintensiven Kapitalismusgroteske „Triangle of Sadness“ richtig war, kann bei „Babylon“ (deutscher Titelzusatz: Rausch der Ekstase) nicht falsch sein. Wo Cannes-Sieger Ruben Östlund eine Kotzorgie orgiastischen Ausmaßes inszenierte, schließt sich der Oscar-prämierte Damien Chazelle nun mit hautnahen Einblicken in einen Elefantenanus an.

Den Beginn seiner von vorne bis hinten auf Exzess und Spektakel gebürsteten Hommage an die Albtraumfabrik Hollywood markiert der XXL-Dünnpfiff eines verängstigten Rüsseltiers, das in einer grandios grotesken Szene als Partyattraktion zur Villa eines Filmmoguls transportiert wird. Was für ein Kladderadatsch!

Kinomagie wird aus Schweiß, Blut und Drogen gemacht. Das ist die Botschaft des Regisseurs und Drehbuchautors Chazelle, dessen hinreißendes Musical „La La Land“ 2017 den Zauber alter Technicolor-Träume in die Gegenwart transponierte. Abgesehen von Chazelles Apollo-11-Drama „Aufbruch zum Mond“ gehört Musikalität zu den stärksten Eigenschaften der Filme des Hollywood-Senkrechtstarters. Das war bereits in dem rattenscharf geschnittenen Jazzdrama „Whiplash“ (2014) zu spüren und ist es jetzt wieder.

Justin Hurwitz’ Score gewann einen Golden Globe

Dort wie bei „Babylon“ stammte die gerade mit einem Golden Globe ausgezeichnete Filmmusik von Justin Hurwitz. Deren grelle Trompeten und Saxofone, die peitschenden Percussionbeats und fiebrigen Phrasen, die betont die Charleston-Klischees der 20er Jahre aussparen, geben den Ton des Spektakels vor.

Stummfilmstern Nellie LaRoy (Margot Robbie) und Sängerin Lady Fay Zhu (Li Jun Li) wollen nach oben.

© dpa / SCOTT GARFIELD

Nebenbei zitiert sich Hurwitz mit Themen aus „La La Land“ – mangels neuer Ideen? – dauernd selber. Und die von Trompeter Sidney Palmer (Jovan Adepo) angeführte Jazzband, der der Auftritt beim Bacchanal des Produzenten Don Wallach als Türöffner in die Welt der Filmstudios dient, ist einer der Erzählstränge, die den Rassismus der frühen Filmindustrie thematisiert.

Deren Goldgräberstimmung von Mitte der 20er bis Anfang der 50er Jahre schildert „Babylon“. Wobei schildert stark untertrieben ist. Von der unerhört freizügigen Eingangsparty an, die die regellose, nackte Dekadenz inklusive Natursekt und Drogentoter zelebriert, regieren in der kalifornischen Wüstenstadt L.A. die Überzeichnung, das Pathos, die Farce. Alles ist „bigger than life“, auch die Armut und der Absturz. Und der – uramerikanischer Mythos – unbedingte Wille zum Erfolg.

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Ganz nach oben in der Traumfabrik. Egal was es kostet. Dahin will Nellie LaRoy (Margot Robbie), die durch ihren sexy Auftritt bei der Filmmogulparty die Aufmerksamkeit eines Regisseurs erregt. Dahin will Manny Torres, ein mexikanischer Einwanderer und ebenso stigmatisiert wie der schwarze Trompeter Palmer. Torres‘ Aufstieg vom Hiwi zum Filmproduzenten liefert die epische Klammer um Chazelles selbstverständlich in Cinemascope präsentiertes Augenkonfetti. Ebenso wie die unmögliche Liebe, die die beiden Underdogs Nellie und Manny verbindet.

Anhand von ihrem Schicksale und dem weiterer Protagonisten wie des Stummfilmstars Jack Conrad (Brad Pitt), dessen pathetischer Schauspielstil im Tonfilm plötzlich verlacht wird, erzählt Chazelle vom gnadenlosen Auf- und Umbruch einer Branche, die sich beim Wachsen und Adaptieren neuer Technologien immer wieder selber überholt, scheinheilige Moralvorstellungen entwickelt, Karrieren baut, Karrieren einreißt und nebenher Massen von Menschen, Pferden und Material verschleißt.

Große Illusionen fordern große Opfer

Beispielsweise den Kameramann, der im stickigen Holzhäuschen, das bei den frühen Studiodrehs des neuen Mediums Tonfilm das laute Rattern der Kamera abschirmen soll, vor Hitze zusammenbricht. Oder den Komparsen, der in der Stummfilmszene eines Kostümschinkens in der staubigen Wüste vor L.A. beim mittelalterlichen Schlachtgetümmel eine Lanze in die Brust gejagt bekommt. Große Illusionen fordern große Opfer.

Stummfilmstar Jack Conrad (Brad Pit, Mitte) erscheint gerne mal beschwipst am Wüstenset.

© dpa / Paramount Picture/SCOTT GARFIELD

Immer wenn es grotesk wird, ist dieses wenig Identifikation und allzu bekannte Selbstbespiegelungsmotive versammelnde Filmungetüm am stärksten. Etwa in der schrillen Szene aus den Anfangstagen des Kinescope-Studios, als die verblüffte Nellie an ihrem ersten Drehtag beim Stummfilm alle paar Meter einen anderen Set erblickt (Urwald, Westernsaloon, Historiendrama). Oder später, als sie als Skandalnudelstar – permanent auf Koks oder Pillen – nachts in der Wüste eine Klapperschlange am Hals baumeln hat, die sie zur Gaudi der Partypeople eigentlich erlegen wollte. Schaurig-schöner Slapstick.

Seltsam nur, dass Damien Chazelle ein Gutteil seines Dreistünders dafür aufwendet, Verworfenheit und Abgründe einer Industrie darzustellen, um sie am viel zu versöhnlichen Ende wieder in der mythischen Himmel der ewig unerklärlichen Leinwandmagie zu erheben. Ausgerechnet, indem er Manny nach langer Abwesenheit wieder das zur sittsamen Metropole mit Milliardenausstoß mutierte Los Angeles besuchen lässt. Wo er im Kino mit verklärtem Blick das bereits zuvor zitierte Schlüssel-Musical des Übergangs vom Stumm- zum Tonfilm sieht: „Singin‘ in the Rain“.

Sie können halt nicht anders, die Hollywood-Leute. Das war bei „Hail, Caesar!“, der Goldene-Ära-Persiflage der Coen-Brüder vor ein paar Jahren, nicht anders. Der Selbstdemontage folgt stets die Verherrlichung.

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