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Jury President Lupita Nyong'o and jury members Jasmine Trinca, Christian Petzold, Albert Serra, Brady Corbet, Ann Hui and Oksana Zabuzhko attend a photo call at the 74th Berlinale International Film Festival in Berlin, Germany, February 15, 2024. REUTERS/Annegret Hilse

© REUTERS/ANNEGRET HILSE

Die Berlinale-Jury stellt sich vor : AfD, Ukraine, Putin? Hier gilt’s der Filmkunst!

Bei der Pressekonferenz mit der Berlinale-Jury bitten die Medienvertreter um politische Statements. Jury-Präsidentin Lupita Ngong’o, Christian Petzold und die anderen halten dagegen.

Wie politisch ist die Berlinale? Die Frage ist so alt wie das Festival selbst, und nach einer Weile sind die sieben Jury-Mitglieder des diesjährigen Festivals so klug, sie zurückzuweisen. Jedenfalls in ihrer verkürzten Form, die nur auf Statements und simple Gut-Böse-Wertungen hinauswill.

Es dauert eine Weile bis die Jury unter Leitung der Schauspielerin, Regisseurin und Autorin Lupita Ngong’o auf dem Podium im Konferenzsaal des Hyatt Platz genommen hat, die Konferenz beginnt mit einer halben Stunde Verspätung. Aber dann nehmen die sieben mit ihrer Schlagfertigkeit schnell für sich ein.

Politische Berlinale? „Ich bin neugierig herauszufinden, was das bedeutet“, sagt die 40-jährige Ngong’o, bekannt vor allem seit ihrem Darstellerinnen-Oscar für „Twelve Years a Slave“. Und sie legt ihren Mitjuror:innen ihre Bewunderung zu Füßen, vor allem den Regisseur:innen Ann Hui, Christian Petzold und Albert Serra. Menschen, die Monate und Jahre ihres Lebens opfern, damit eine Geschichte erzählt wird, davor hat sie einen Heidenrespekt. Als Präsidentin will sie den anderen vor allem erstmal zuhören.

Wie schaut die Jury die 20 Wettbewerbsfilme, bekommen sie auch Streaminglinks fürs Hotelzimmer? Nein, meint Christian Petzold, da schlafen wir höchstens. Die Filme sieht die Jury selbstverständlich im Kino, in normalen Vorstellungen und in eigenen Jury-Screenings. Sie kennen sich seit 48 Stunden, haben bereits ein, zwei Filme gesichtet. „Wir hatten schon intensive Gespräche“, verrät Lupita Ngong’o. „It’s probably going to be spicy.“

Kopfschmuck aus Muscheln: Jurypräsidentin Lupita Ngong’o sagt zur Arbeit der Jury, „it’s probably going to be spicy“.
Kopfschmuck aus Muscheln: Jurypräsidentin Lupita Ngong’o sagt zur Arbeit der Jury, „it’s probably going to be spicy“.

© IMAGO/ZUMA Wire/IMAGO/Marina Takimoto

Scharf gewürzte Auseinandersetzungen über Kinobilder: Jede Festivaljury ist so gut wie die Streitkultur, die sie pflegt. Vielleicht sind auch Filme so gut wie der Dissens, den sie aushalten lernen. Die italienische Schauspielerin Jasmine Trinca betont jedenfalls, dass Filme einen die Welt mit den Augen eines anderen sehen lassen. „Wir müssen unsere Augen und unsere Herzen öffnen, menschlich bleiben, das ist etwas sehr Politisches“. Schon deshalb, weil es hilft, Grenzen zu überwinden.

Nach etwa fünfzehn Minuten kommt sie dann doch, die Frage nach der Einladung und dann wieder Ausladung von AfD-Politiker:innen zur Eröffnungsgala am Donnerstagabend. „Ich bin hier Ausländerin“, antwortet Ngong’o, und dass sie die politischen Verhältnisse hier zu wenig kenne. „Ich bin froh, dass ich die Frage nicht beantworten muss“.

Christian Petzold hat die Frage kommen sehen. „Fünf AfDler bei der Eröffnung, ich denke, das ist kein Problem. Wir sind doch keine Feiglinge. Wenn wir das nicht aushalten, werden wir den Kampf verlieren“, sagt der 63-jährige Berliner Filmemacher, der im Vorjahr mit „Roter Himmel“ einen Silbernen Bären gewann. „Diese Fragen nach fünf Hanseln machen die AfD nur größer, als sie sind.“ Dass jetzt Hunderttausend gegen sie demonstrieren, sei doch viel wichtiger.

Bald geht’s zum nächsten politischen Thema, Russlands Krieg gegen die Ukraine. Ob Albert Serra noch seiner eigenen Meinung sei, er habe in einem Interview (aus dem Jahr 2018) einmal seiner Bewunderung für Putin Ausdruck verliehen, will ein Journalist wissen. „Ich habe auch mal gesagt, ich wäre gerne der Papst“, kontert der spanische Regisseur und lässt sich kein simples Statement entlocken. Politik sei komplex, „was hilft es schon zu sagen, Trump ist ein schlechter Mensch“. Der US-Schauspieler Brady Corbet springt ihm umgehend mit einer Sympathiebekundung zur Seite.

Jury-Mitglied Oksana Zabuzhko, Schriftstellerin aus der Ukraine, bei der Pressekonferenz der Jury.
Jury-Mitglied Oksana Zabuzhko, Schriftstellerin aus der Ukraine, bei der Pressekonferenz der Jury.

© AFP/JOHN MACDOUGALL

Als dann jedoch die ukrainische Schriftstellerin und Dichterin Oksana Zabuzhko gefragt wird, wie sie es finde, mit Serra das Jury-Podium zu teilen, sprechen allein die Mimik und die kleinen Seufzer von Lupita Ngong’o Bände: Eigentlich gilt’s hier dem Film, aber alle wollen nur Stellungnahmen. Offenbar beherrscht die Jury der 74. Berlinale die Kunst der Streitkultur schon, denn Oksana Zabuzhko gibt eine denkbar kluge Antwort. Sie habe ihm gerade interessiert zugehört, sagt sie. Und dass er beim gemeinsamen Dinner am Vorabend ihr jüngstes Buch dabeigehabt habe. „Ich hoffe, er wird sich ein wenig weiterbilden.”

Bereits zuvor hatten auf ihrem Handy plötzlich Sirenen geschrillt. Das sei nur das soeben signalisierte Ende des letzten Luftalarms für Kyiv, entschuldigt sich Zabuzhko. Als ob es einer Entschuldigung bedürfte für diesen unvermittelten Einbruch der Realität in den Festivaltrubel: Für einen Augenblick sind der Krieg und die Kunst, der Film und die Politik ganz nahe beieinander. Aber eben nicht in Form eines Statements.

Bei einem Filmfestival gehe es nicht darum, dass Künstler sich zu Gaza (auch dazu wird ein Statement erbeten), der Ukraine oder der AfD äußern, fasst Christian Petzold am Ende noch einmal zusammen. Es gehe um die Filmkunst. „Aber wenn Politik bedeutet, dass wir diskutieren, dann ist das wunderbar.“ Die Jury, das ist nach diesem Podium klar, lässt sich so schnell jedenfalls nicht spalten.

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