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Die norwegische Geigerin Vilde Frang und Vladimir Jurowski beim Berliner Gastspiel mit dem Bayerischen Staatsorchester am 12. September 2023.

© Geoffroy Schied

Die Bayern beim Musikfest Berlin: Prima Klima

Das Bayerische Staatsorchester unter Vladimir Jurowski gastiert mit Strauss’ „Alpensinfonie“ und Bergs Violinkonzert beim Musikfest Berlin.

Keine Klimakleber diesmal, wie am vergangenen Freitag in Luzern. Das Gastspiel des Bayerischen Staatsorchesters sorgte dort für Schlagzeilen, weil sich zwei Aktivist:innen während Bruckners Vierter am Dirigentenpult festklebten.

Chefdirigent Vladimir Jurowski blieb cool und unterbrach erst, als Slogans gerufen wurden und der Saal immer aggressiver reagierte. Laut „NZZ“-Bericht forderte er das Publikum auf, sie reden zu lassen, andernfalls verlasse er die Bühne. Während sie ihr Anliegen erläuterten, hockte er sich im Schneidersitz hin, hörte aufmerksam zu – um dirigierte dann den Finalsatz.

Zwei Tage später in der Elbphilharmonie hatte sich das Orchester auf Zurückhaltung geeignet: kein weiterer Kommentar, auch nicht zum Kleber-kritischen Statement des Lucerne Festivals. Dabei stand, wie jetzt beim Gastspiel im Rahmen des Berliner Musikfests, Richard Strauss‘ „Alpensinfonie“ auf dem Programm, das wohl wuchtigste musikalische Statement zur Klimafrage. In Strauss‘ monumentalem Landschaftsgemälde entfesselt ein Riesenorchester die noch unversehrten Naturgewalten. Das gewaltige Blechensemble, Wind- und Donnermaschine, Orgel und Almglocken lassen eisige Höhen und Gletscher vor der Schmelze aufscheinen, ebenso Almidyll, Wasserfallkaskaden, Gipfelsturm und apokalyptische, von Trompeten-Blitzen durchzuckte Unwetter.

„Ich liebe die Almglocken“, ruft Kulturstaatsministerin Claudia Roth bei ihrer Glückwunschrede zum 500. Geburtstag des Ensembles. Nun ja, Orchester und Werk hätten etwas mehr politisch-kulturelle Differenzierung verdient.

Vilde Frang spielte in der Philharmonie Alban Bergs Violinkonzert.

© Wilfried Hösl

Zwar verzichtet Vladimir Jurowski (in Berlin vor allem als Chefdirigent des „gerade mal“ 100-jährigen Rundfunk-Sinfonieorchesters präsent) in der Philharmonie auf metaphysische Überhöhung und transzendiert die mit Nietzsches „Antichrist“ liebäugelnde Partitur weniger, als dass er ihre Charakterstärken hervorkehrt. Aber mit der satten Farbenvielfalt kehrt er die Modernität und Radikalität der Strauss’schen Klangcollagen hervor, etwa das zukunftsweisend Geräuschhafte der Sinfonischen Dichtung. Die unangenehmen Überwältigungspassagen präsentiert das Orchester außerdem mit gesundem Selbstvertrauen. Nach dem Motto: Mit Strauss sind wir in unserem Element.

Und bei Richard Wagner ebenso: Mit dem Vorspiel zum 3. „Meistersinger“-Akt als Zugabe huldigen sie einem weiteren Hausgott - zumal es sich bei den „Meistersingern“ um eine von vier Wagner-Opern handelt, die von den Bayern einst uraufgeführt wurden. Die „Alpensinfonie“ wurde übrigens in Berlin erstmals gespielt, 1915 in der damaligen Philharmonie in der Bernburger Straße.

Leider hatten die Symphonie Nr. 3 „The Interment“ (2003) der Ukrainierin Victoria Vita Polevá mit ihrem matt schimmernden Klangflächen-Minimalismus und Alban Bergs Violinkonzert vor der Pause wenig Chancen. Die gewaltige Außenwirkung der sich anschließend auftürmenden „Alpensinfonie“ absorbierte Bergs Innerlichkeit. Ohnehin überzeugte das feinsinnige, anrührend intime Spiel der norwegischen Geigerin Vilde Frang zwar in den vorderen Saalreihen, musste weiter hinten jedoch verpuffen.

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