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Auge in Auge. Die groß aufgetogenen Details in den Gemälden Jan van Eycks ermöglichen überraschende Entdeckungen.

© Philippe De Gobert

Die Berliner Gemäldegalerie feiert Jan van Eyck : Kleine Holztäfelchen ganz groß

Der Maler war ein Pionier mit seiner unglaublich feinen Kunst. Berlin besitzt die meisten Werke von ihm und und holt per Zoom noch mehr aus ihnen heraus.

Was dieser Maler des 15. Jahrhunderts da macht, ist pure Magie. Bis heute scheint Jan van Eycks später nie übertroffene Fähigkeit, feinste Details der Wirklichkeit mit ein paar Pinselhaaren und Farben festhalten, unbegreiflich. Im winzigen Format geschieht das alles. Selbst wer seine Werke gut kennt, staunt auf’s Neue vor den Originalen: so klein sind die Holztäfelchen, nicht einmal Din A4-groß etwa das Bildnis des hochadeligen Baudouin de Lannoy.

Hat dieser Mann wirklich so schlechte Laune? Vielleicht war der Schnösel in Silberbrokatrobe und Pelz auch nur darauf bedacht, möglichst würdevoll-ernst rüberzukommen. Seine zusammengekniffenen Lippen und Stirnfalten lassen sich jetzt so genau wie noch nie buchstäblich unter die Lupe nehmen. Eine Sehhilfe hängt griffbereit unter jedem der Gemälde in der Wandelhalle der Gemäldegalerie.

Und richtig, da ist die neu entdeckte Narbe an der Nasenwurzel. Erst die jüngste Restaurierung hat sie unter sorgsam entfernten, vergilbten Firnisschichten ans Licht kommen lassen: kein Makel, sondern Individualitätsmerkmal. Tatsächlich wirkt der Dargestellte nun wie verjüngt, im Teint frischer. Die Ausstellung „Zoom auf van Eyck“ legt auch den diffizilen Säuberungs- und Sicherungsprozess offen. Jeder Eingriff, so Restauratorin Sandra Stelzig, soll reversibel, dabei aber langzeitstabil sein.

Die Zauberhafte. Jan van Eyck „Madonna in der Kirche“ (um 1437/40, Detail).

© Staatliche Museen zu Berlin, Gemäldegalerie/Christoph Schmidt

Zu Jan van Eycks Zeit, im Spätmittelalter, entdeckten Kunstschaffende und Kunden in den Niederlanden erstmals die Faszination, die Wirklichkeit tatsächlich ins Bild zu bannen. Die Porträtkunst war noch jung. Und man hängte sich die kostbaren Werke keineswegs als Zimmerschmuck an die Wand, sondern verwahrte sie geschützt im Kasten, um sie nur dann und wann bei Tageslicht zu bestaunen.

Ausgefuchste Lichtregie

Auch die zierliche „Madonna in der Kirche“ war als privates Mini-Andachtsbild für eine Zwiesprache aus allernächster Nähe gedacht. Ihre überirdische Erscheinung in einer höchst wirklichkeitsgetreuen Architektur machte Jan van Eyck mit einer ausgefuchsten Lichtregie glaubhaft. Wie die Sonne durch die Kirchenfenster fällt, das hatte noch nie ein Maler so gesehen.

Jetzt gibt es dieses und andere Meisterwerke auf wandfüllende Größe gezoomt auch in einer computergesteuerten Installation zu erleben. Für die eindrucksvolle, zuvor in Brüssel gezeigte Projektion, wurden alle 20 erhaltenen Werke Jan van Eycks von Paris bis New York systematisch mit hohem Aufwand neu fotografiert und auch kunsttechnologische Aufnahmen, wie Infrarotbilder, eingebunden. Big Data!

Natürlich mit dabei ist van Eycks Topstück, der „Genter Altar“. Dieser gewaltige Flügelaltar, dessen schrittweise Restaurierung seit 2012 läuft, bildete den Ausgangspunkt für das Forschungs- und Dokumentationsprojekt des Royal Institute for Cultural Heritage in Brüssel. Über 300 Details liegen in extremer Vergrößerung vor. Ob die Wimpern ums Auge oder die am Himmel ziehenden Herbstvögel, die Gänseblümchen auf der Wiese oder die Bauarbeiten am gotischen Turm, das Glitzern der Madonnenkrone oder die Bartstoppeln eines Porträtierten: all das ist im Gemälde ja nur millimetergroß.

Eine Größenskala in der Projektion rechnet es vor. Interaktiv darf jeder mitbestimmen, welches Detail als nächstes groß rauskommen darf. Sehr langsam und ruhig geschieht das, keine multimediale Überwältigungsdramaturgie droht. Die eigens komponierte Cellomusik-Beschallung ist trotzdem schon zu viel. Jan van Eycks Meisterschaft braucht nur das Visuelle, sonst nichts.

Schon zu Lebzeiten berühmt, verkehrte der Künstler in hochadeligen Zirkeln und stand in Diensten Philipps des Guten von Burgund. Für den Herzog war er auch als Diplomat unterwegs. Sonst weiß man nicht viel über den 1441 verstorbenen Jan van Eyck. Aber seine Ehefrau Margarete hat er porträtiert; im digitalen Bilderflow ist sie zugegen.

Die neun kostbaren Originale, darunter drei unzweifelhaft eigenhändige Arbeiten des Meisters, passen juwelenartig ausgeleuchtet in eine Ecke des weitläufigen, samtschwarzen Ausstellungssaals. Sie allesamt sind stolzer Besitz der Gemäldegalerie, die sich als weltweit beste und größte Altniederländersammlung bezeichnen darf. Denn hier in Berlin wussten die Museumsleute des 19. Jahrhundert früher als andernorts spätmittelalterliche Kunst zu schätzen und kauften sie an.

Wie hat er das gemacht?

Bleibt die Frage: Wie genau hat dieser Jan van Eyck das eigentlich gemacht? Vielleicht klemmte er sich ein Brillenglas ins Auge, so Kurator Stephan Kemperdick. Auf jeden Fall denkt der Altniederländer-Experte sich den Künstler als jungen Mann, vielleicht so um die 30 Jahre alt: sonst hätte er gar nicht über die nötige Sehschärfe verfügt. Ihn verblüfft vor allem die Lockerheit des Pinsels. Jan van Eyck hat nämlich keineswegs pedantisch gekläubelt. Erst im Blow Up der digitalen Projektion zeigt sich, wie lebendig seine Farbstriche aufgetragen sind.

Die Nachfolger und Nachahmer folgten auf dem Fuße und kamen doch nicht an seine Virtuosität heran. Nur als Kopie, um 1520, erhalten ist „Der „Mann mit den Nelken“. Etwas schüchtern schaut der Betagte einen an, aus faltenumrahmten Augen. Seine Hand mit den Blümchen schiebt sich über den Bildrahmen ins Reale. Er flirtet!

Die Nelke ist nämlich ein Liebessymbol. Und dieser Alte macht sich ein bisschen lächerlich. Er verkörpert den später sehr beliebten Bildtypus des „Verliebten Alten“. Auch mit solchen hintersinnigen Alltagsszenen hatte Jan van Eyck also als Neuerer die Nase vorn, in der Kunstgeschichte.

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