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Der Schriftsteller Phlipp Winkler, 36

© Katrin Ribbe/Aufbau Verlag

Philipp Winklers Roman "Creep": Die Geborgenheit der Cloud

Porträt eines Milieus, das vor den Anforderungen der Realität ins Internet flüchtet: Philipp Winklers digitales Sozialdrama "Creep".

Nur selten schafft es ein Debüt auf die Bestsellerlisten; aber Philipp Winklers 2016 veröffentlichter Roman „Hool“ war auch kein üblicher Debütroman, kein mit spitzer Feder verfasster Bericht über die Krisen einer Mittelschichtsjugend. Stattdessen erzählte Winkler von einem Fußballfan, dessen Lebensinhalt darin besteht, auf Anhänger des rivalisierenden Teams einzuprügeln.

Temporeich und filmisch boxte der 1986 im niedersächsischen Neustadt am Rübenberge geborene Autor das Leben in die Belletristik hinein.

Hoch sind entsprechend die Erwartungen an seinen zweiten Roman „Creep“. Im kapitelweisen Wechsel erzählt Winkler von zwei Figuren, die sich in den dreckigen Ecken des Internets verlieren. Die eine ist die dreißigjährige Fanni, Klickarbeiterin eines Unternehmens, das Sicherheitskameras in Privatwohnungen betreibt.

Am liebsten würde sie ihre Bürokabine nie verlassen, kann sie hier doch das Leben der Kunden ausspionieren. Fanni ist eine Stalkerin. Am liebsten beobachtet sie die Naumanns, eine liebevolle Kleinfamilie, mit deren Tochter sich Fanni identifiziert. Zu ihren Eltern hat sie schon lange keinen Bezug mehr, wie sie ohnehin persönliche Kontakte meidet.

Junya verhält sich wie ein Hikikomori

Sogar von ihrem Körper fühlt Fanny sich entfremdet, nennt ihn „Meat Prison“ und sehnt eine Zukunft voraus, in der sie ihr Bewusstsein in eine Cloud hochladen kann.

Auch die zweite Hauptfigur, der Japaner Junya, hat sich abgeschottet. Vor fast zwanzig Jahren brach er wegen harten Mobbings die Schule ab. Seither lässt er sich von seiner Mutter die Mahlzeiten vor die Tür seines Kinderzimmers stellen.

Ein Verhalten, das unter der Bezeichnung Hikikomori auch über Japan hinaus Verbreitung gefunden hat. Nur dass Junya ein spezieller Fall ist. Denn er verlässt durchaus sein Zimmer, allerdings nur nachts. Er gehört einer Subkultur an, die sich im Netz dafür feiert, in Wohnungen einzubrechen und auf die schlafenden Bewohner einzudreschen.

Sie drehen Videos ihrer Taten und prahlen damit voreinander. Junyas Opfer sind Lehrer, er will sich für seine traumatische Schulzeit rächen. Bald werden die Medien auf ihn aufmerksam. Angelehnt an einen Horrorfilm nennen sie ihn den „Albtraum von Tama“.

Er genießt die Prominenz und versteht seine Clips als Kunstwerke. Doch dann stirbt seine Mutter, und er muss sich im gefürchteten Draußen zurechtfinden. Auch Fanni gerät in Bedrängnis. Sie verkauft im Darkweb Adressen aus der Kundendatenbank ihrer Firma ausgerechnet an einen von Junyas Schläger-Kollegen.

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Nur sie kann den Serientäter stoppen, der in ihrer Stadt Nacht für Nacht Schlafende verprügelt, vorausgesetzt, sie verlässt ihre Komfortzone.

Die Idee ist vielversprechend, „Creep“ hätte ein respektabler Thriller werden können. Nur bremst die statische Anlage die Spannung aus. Im Verlauf nähert sich der Plot eher den Regeln eines Jugendbuchs an, allerdings mit hierfür viel zu alten Protagonisten.

Junya trifft unverhofft auf seinen schlimmsten Peiniger aus Schulzeiten, der inzwischen eine Bande Einbrecher anführt. Von seinem schlechten Gewissen geplagt, nimmt der Kriminelle Junya in seine Bande auf, therapiert ihn von seiner Angst vor der Außenwelt und rückt ihm sanft den Kopf zurecht: „Das hier ist nicht irgendein Gangsterfilm oder so was.“

Schade! Denn ein bisschen mehr Entschlossenheit und Mut zum Genre hätte dem Roman gutgetan. Und für eine feinsinnige Analyse der digitalen Welt gibt sich Winkler stilistisch zu bescheiden. Schnell geschrieben wirkt der Text, und die Handlung hält zu wenig Wendungen bereit.

Das Internet ist für sie ein Ort der Vermeidung

Sprachlich auffällig ist lediglich die Menge an Anglizismen („Credentials“, „Video Annotation Tool“, „skimmen“), die jedoch fernab ihrer Herkunft – IT-Wirtschaft, Blogs, Reddit-Foren – nur Buzzwords sind. Sie dienen höchstens der Beweisführung, dass Winkler recherchiert hat. Einen stimmigen Nerd-Sound ergeben sie nicht.

Als digitales Sozialdrama mag „Creep“ durchgehen, als Porträt eines Milieus, das vor den Anforderungen der Realität in die Passivität flüchtet. Das Internet ist für Fanni und Junya kein Ort der Kommunikation, sondern ihrer Vermeidung. Dabei sehnen sie sich letztlich nach Anerkennung und Geborgenheit.

Doch es stellt sich kein Mitgefühl ein. Winkler macht es seinen Figuren auch nicht leicht, sympathisch zu erscheinen, wenn er sie schon zu Beginn Schädel einschlagen oder Kinder ausspionieren lässt. Heiko Kolbe, die Hauptfigur seines Debüts, war auch kein Sympathieträger. Man konnte ihn für ein Hooligan-Arschloch halten und dennoch mit ihm mitfiebern.

Junya und Fanni erreichen nicht diesen Grad an Plastizität. Ihre Distanziertheit von der Welt drückt sich nur in neuerlicher Distanz aus. Sie wirken blass und erfunden, als kämen sie über den Zustand des Virtuellen nicht hinaus.

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