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Königin dieser Nacht: Stefan Kurt als Zaza, umgeben von Tanzensemble der Komischen Oper Berlin.

© Monika Rittershaus

Die schönste Zeit ist jetzt: Barrie Kosky inszeniert „La Cage Aux Folles“

Emanzipationsstück und Familiensehnsucht: Barrie Koskys erste Regie nach seiner Intendanz an der Komischen Oper Berlin gilt dem Kult-Musical „La Cage Aux Folles“.

Mit 17 hatte Barrie Kosky ein Erweckungserlebnis. Er war mit seinem Vater nach New York gereist, und während dieser den Geschäften eines Pelzhändlers nachging, zog Kosky von einer Broadway-Show zur nächsten. Schließlich landete er in einer Matinee von „La Cage Aux Folles“. Die bunte Fantasiewelt mit Transvestiten in Federboas und einem schwulen Paar, das sich offen auf der Bühne küsst, begeisterten den australischen Teenager: „Ich war bin und weg.“

Vierzig Jahre später inszeniert Kosky „La Cage Aux Folles“ nun an der Komischen Oper Berlin, es ist seine erste Regiearbeit, nachdem er die Intendanz des Hauses abgegeben hat und nunmehr als Hausregisseur zwei Produktionen pro Spielzeit beisteuern wird. Jerry Hermans Musical mit seiner Emanzipations-Hymne „I am what I am“ hat seit seiner Uraufführung 1983 den Weg der Schwulenbewegung begleitet, vom Broadway-Erfolg der Lebenslust hin zum Überlebensstück inmitten von Aids und einer Wiedergeburt als Familienstück inklusive einer Ehe für alle.

Familie und Ehe für alle

An diese Wegstrecke will Kosky erinnern, mit einer Inszenierung, die den konservativen Kern des Käfigs nicht sprengen will. Denn „La Cage Aux Folles“ ist bei allem Glitter ein nostalgisches Stück, das lebenslange Partnerschaft und Familie feiert, auch wenn das Elternpaar auf der Bühne aus zwei Männern besteht. Wenige Melodien in ewigen Reprisen tragen durch den zum Happy End stöckelnden Abend, dem souveränen Dirigenten Koen Schoots wünscht man eine angemessene Tonanlange. Jeden Opernklassiker hätte Kosky durchgeschüttelt und auf Konflikte abgeklopft, bei „La Cage Aux Folles“ aber lässt er vieles einfach laufen.

Otto Pichlers Tänzer:innen übernehmen einmal mehr den Part des queeren Bewegungschors, der kreischend die Bühne flutet. Sie hätten sich auch aus einer anderen Inszenierung verirrt haben können. Kosky lässt sie als junge genderfluide Generation auflaufen, aus dem Kontrast zum alternden schwulen Paar Georges und Albin aber macht er nichts. Zeiten stehen nebeneinander, die im Grunde ihres Herzens sentimentalen Alten und die unentwegt bewegten Jungen. Als Tapete blicken die Zeichnungen von Tom of Finland herab, dessen Muskelprotze recht kleine Köpfe und große Schwänze präsentieren.

Zwei Besetzungscoups tragen den Abend

Wie wenig Kosky bei „La Cage Aux Folles“ zupackt, zeigt die Rolle des Jean-Michel. Georges und Albin haben ihn aufgezogen, als Vater und Mutter. Nun will der Sohn heiraten und den stockkonservativen Schwiegereltern in spe eine „normale Familie“ präsentieren. Eine Geschichte von Verrat und Herzensbruch, die Musicaldarsteller Nicky Wuchinger als Jean-Michel mit derart demonstrativem Desinteresse abliefert, dass man dahinter schon wieder eine Botschaft vermutet. Auch der reaktionäre Politikervater, der alle Dragshows verbieten will, bleibt harmlose Pappfigur. Wo’s weh tun könnte, will an diesem Abend niemand hin.

Dass die kommenden zwölf Aufführungen von „La Cage Aux Folles“ in dieser Spielzeit dennoch zu den begehrtesten Tickets Berlins gehören werden, liegt an zwei Besetzungscoups: Helmut Baumann, der das Musical 1985 ans Theater des Westens holte und dort unvergessen den Albin spielte, steht als Restaurant-Patronin Jacqueline noch einmal auf Absätzen. 83 Jahre jung ist Baumann heute, und seine Lust, seine Geistesgegenwart strahlen bei seinen kurzen Auftritten aus auf das ganze Ensemble.

Vor allem aber ist es Stefan Kurt als Albin und Dragqueen Zaza, der als einzige Person auf der Bühne wirklich zu verzaubern weiß. Ein singender Schauspieler voller Finesse, der ganze Körper ein Instrument, zu immer neuen Rhythmen fähig, die Peter Renz als sein Mann Georges aufzufangen versucht. Kurt gebietet über eine fragile Grandezza, kann Schminke, Perücke und Paillettenfummel tragen und dabei immer auch durchscheinen lassen, wie viel Kraft es braucht, um sagen zu können: „Ich bin, was ich bin“.

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