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Nach der Pressekonferenz. Christian Thielemann am Tag seiner Berufung als Generaldirektor der Staatsoper im Apollosaal.

© AFP/JOHN MACDOUGALL

Künftiger Chef der Berliner Staatsoper: Christian Thielemann ist eine Projektionsfigur für Linke wie Rechte

In der „Welt“ äußert sich der künftige Generalmusikdirektor der Staatsoper Unter den Linden zu Vorwürfen, er habe eine antisemitische Haltung. Er wittert eine Intrige.

Von Gregor Dotzauer

Was Christian Thielemanns politische Ansichten angeht, gibt es viele Gerüchte und wenige konkrete Anhaltspunkte. So unwahrscheinlich es ist, dass er sich im linksliberalen Spektrum zu Hause fühlt – für die Beurteilung seines Formats als Dirigent ist dies völlig unmaßgeblich. Wie kann es also sein, dass er regelmäßig ins Kreuzfeuer der Lager gerät?

Schon seit der Jahrtausendwende wird ihm etwa eine antisemitische Äußerung nachgetragen, die anlässlich seiner Berufung als neuer Generalmusikdirektor der Staatsoper Unter den Linden auch die „New York Times“ wieder aufgriff.

Im Gespräch mit seinem Duzfreund Mathias Döpfner, dem Vorstandsvorsitzenden von Axel Springer, hat er der „Welt“ nun allerdings glaubhaft versichert, dass es sich um eine Intrige gehandelt habe. In den online vorab veröffentlichten Passagen, die in ihrer Gänze am Wochenende in der „Welt am Sonntag“ erscheinen sollen, nennt Thielemann den 2021 verstorbenen Komponisten Udo Zimmermann, seinerzeit Intendant der Deutschen Oper Berlin, als Drahtzieher.

Gegen den Willen der Musiker habe dieser ihn als Generalmusikdirektor loswerden wollen und einen Satz lanciert, den Thielemann folgendermaßen wiedergibt: „Wenn der Barenboim weg ist, dann hat die Juderei in Berlin ein Ende.“

Das erfundene Zitat habe schnell Kreise gezogen und sei bei der Presse gelandet. Noch vor Drucklegung habe ihn Daniel Barenboim zur Rede gestellt und soll wörtlich erklärt haben: „Wenn du mir sagst, dass du das nicht gesagt hast, ist die Sache für mich erledigt.“ Thielemann zögerte nicht lange.

Im Schatten der Opernstiftung

Er referiert die Nachwendewehen im Schatten der Opernstiftung, die zum Konflikt zwischen Staatsoper und Deutscher Oper führten, und man kann nur hoffen, dass er deren Überreste aus seiner künftig entgegengesetzten Perspektive als Nachfolger von Daniel Barenboim ähnlich differenziert sieht. Wie auch immer: Ein Kardinalverdacht gegen Thielemann, der im Oktober 2000 von Klaus Geitel ausgerechnet in der „Welt“ mitgeteilt wurde, ist ausgeräumt.

Ärgerlich ist nur, dass in ebendieser Zeitung die Nachricht von Thielemanns Berufung zugleich mit einer rechtspopulistischen Dumpfheit kommentiert wird, die der Sache einen schlechten Dienst erweist. Peter Huth, im Boulevard-Alltag von „Bild“ und „B.Z.“ gestählt, bietet seine gesammelte Verachtung für eine Linke auf, die Thielemann ohne verlässliche Grundlage als politische Person zu diskreditieren versucht, führt selbst aber nur abstrakte kunstferne Gründe an, warum diese Entscheidung „alternativlos“ gewesen sei.

Lagermentalität nutzt Thielemann als Projektionsfigur

„In Zeiten“, schreibt Huth, „in denen auch die Besetzung einer kreativen Spitzenposition einer Art Rasterfahndung nach richtigem Geschlecht, korrekter Haltung, womöglich passender Hautfarbe und sexueller Orientierung gleichkommt, fiel Thielemann also durch das Raster.

Nur: Eine Person, wie man sie sich wohl erträumt hatte, gibt es nicht – denn die sensationelle progressive Trans-Dirigentin, die als Flüchtling aus dem Westjordanland nach Deutschland kam, in ihrer Freizeit in der ,Berliner Tafel‘ arbeitet und Ehrenmitglied bei Ver.di ist, ist nur ein Zeitgeist-Konstrukt.“

Es lohnt sich nur deshalb, dies zu zitieren, weil es für eine Lagermentalität steht, die den politisch undurchsichtigen Thielemann ihrerseits als Projektionsfigur nutzt, um ästhetische Ideen zu propagieren, die der designierte GMD explizit teilt.

Eine im romantischen und spätromantischen Repertoire feststeckende Klientel, die bei allem, was über Schönbergs „Verklärte Nacht“ hinausgeht, noch immer den Saal zu verlassen droht, hat in ihm den Mann gefunden, der die einschlägigen Partituren wie wenige auszuleuchten vermag. Aber auch hier wird mit falschen Karten gespielt.

Wenn Huth Thielemann verteidigen zu müssen glaubt, weil dieser Hans Pfitzners Nationalkonservatismus verehrt, sollte er hinzufügen, dass auch ein erklärter Linker wie Ingo Metzmacher an den Kompositionen aus deutscher Seele Gefallen gefunden hat. Nur: Metzmacher setzt sich mit Pfitzners Anti-Modernismus offen auseinander, und er insistierte darauf, dass Herz und Verstand sich bei der Würdigung von Kunst nicht immer einig sein müssen.

Die Sphären des Ästhetischen und des Politischen zu trennen, ist ebenso notwendig wie letztlich unmöglich. Womit Wagnerianer umzugehen gelernt haben, bleibt, auf die ganze Breite der Musik bezogen, eine Aufgabe, die es in fast jeder Dekade neu auszuhandeln gilt. Thielemann, der sich mit Stücken seines langjährigen Freundes Hans Werner Henze, der zumindest in jungen Jahren kommunistische Sympathien hegte, weit ins 20. Jahrhundert vorwagte, wird sich, wenn er mit dem zweiten Quartal des 21. Jahrhunderts in diese unendliche Geschichte eintritt, darum nicht drücken können.

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