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Wörter zuerst. Lydia Daher wurde 1980 in Berlin geboren.

© Gerald von Foris

Begegnung mit Lydia Daher: Du schöne Aura der Vergeblichkeit

Mehr vom selben? Nö. Sängerin und Lyrikerin Lydia Daher schätzt Neuanfänge. Nun stellt sie ihr jüngstes Album in Berlin vor.

So was hört man selten von Künstlern, die so gern auf ihre Individualität pochen. „Ladet mich ein oder lasst es bleiben: Ich komme immer als Ich“, sagt die ob ihrer Genrewanderungen schwer zu fassende Popsängerin Lydia Daher. Sie veröffentlicht Musikalben und Lyrikbände, tritt mit Soundperformances auf und hat dieses Jahr in Stuttgart beispielsweise eine Ausstellung ihrer Collagen und in München ein Theaterprojekt auf dem Zettel.

Bis zum Berliner Record-Release-Konzert ihres aktuellen Albums „Wir hatten Großes vor“ am kommenden Donnerstag hat es ziemlich gedauert. Ein gutes Jahr. Auch bis zu diesem Besuch bei Lydia Daher am Marheinekeplatz, wo sie mit ihrem Musikerkollegen Tobias von Glenck, dem gemeinsamen Sohn und allerlei Instrumenten unter hohen Decken lebt.

Ein Klappen der Wohnungstür, Füßegetrappel und schon steht Sohn Junis auf stämmigen Beinchen im Zimmer. Mit seinen 21 Monaten kann er immerhin schon ein ihm gewidmetes Album vorweisen. Künstlerin und zugleich Mutter zu sein, habe sie sich deutlich leichter vorgestellt, erzählt Lydia Daher als der Kleine zum Mittagsschlaf verschwindet. Die Idee, ihn immer mit auf Konzerttour zu nehmen, hat sich die 1980 in Berlin geborene und in Köln aufgewachsene Tochter einer Deutschen und eines Libanesen schnell wieder abgeschminkt. Stattdessen reduzierte sie ihr Programm, spielte weniger Konzerte. „Aber ich suche ja immer nach dem Wahrem“, sagt sie ohne Bedauern, „und das Kind ist was Wahres.“

Wir hatten Großes vor

Genauso wie das Album mit dem unschlagbaren Titel „Wir hatten Großes vor“. Was da alles mitschwingt. Die Ambitionen ebenso wie deren Scheitern. Die Anmaßung ebenso wie die Selbstironie. Die namensgebende Zeile ist dem Song „Immer der Sonne nach“ entlehnt und lautet eigentlich „Ich gebe zu, ich hatte Großes vor. / Bis ich dann merkte, dass es so Großes überhaupt nicht gibt“. Und ein paar Strophen weiter singt sie dann in ihrem weichen Alt „Ich gebe auf und unterzeichne. / Ab heut’ bin ich fest angestellt in einer Agentur für Zweifel.“ Die Distanz zur Welt ist so typisch für Lydia Daher wie die Aura der Vergeblichkeit. Wobei der Reim- und Pointenfaktor bei ihren Songtexten deutlich höher ausfällt als bei ihren Gedichten.

Musikalisch reicht das Spektrum diesmal von elektronisch aufrauschenden Popnummern wie „Küssen an der Küste“ bis zu „Wirklich“, einer hübsch reduzierten Akustikballade. Wähnt man sich zu Beginn wegen der eingängigen Refrains und Melodiebögen in einem hippen Deutschpopalbum, verstärkt sich im Verlauf von „Wir hatten Großes vor“ die Tendenz zum Minimalistischen, zur Improvisation, zur Klangcollage mit sprechgesungenen Texten. So manches Mal geschieht der Umbruch auch in einem einzigen Lied. Etwa in der Up-Tempo-Nummer „Kein Grund für Tränen“, in der das Bandarrangement plötzlich in eine perkussive Zusammenbruchsminiatur zerfällt. Und zwar als es heißt: „Alles soll wahr sein, aber nicht zu wahr / Alles soll da sein, aber nicht das. / Sei darauf eingestellt, dass deine heile Welt / wie alles um uns herum auseinanderfällt“. Das sind coole Sperenzchen, die auch die Kritikerherzen höher schlagen lassen. Sie bejubeln „Wir hatten Großes vor“ genau wie die drei vorherigen Alben, die von „Rolling Stone“ über „Spiegel“ und „Zeit“ bis hin zu „Brigitte“ breit beachtet wurden.

Das Echo auf das Debütalbum ist groß

Diese positive Resonanz hat 2007 gleich mit ihrem ersten beim Münchner Indielabel Trikont erschienenen Album „Lydia Daher“ angefangen. Zu dem Zeitpunkt hatte Daher, die in Augsburg Psychologie und Soziologie studiert hat, zwar schon Bühnenerfahrung als preisgekrönte Poetryslammerin, aber noch nie Musik gemacht. Im Sommer 2006 kauft sie sich für 99 Euro ein Gitarre, schreibt mit sportlichem Ehrgeiz und ein paar Pfadfinderakkorden täglich einen Song und spielt die selbst gesungenen Lieder mit einem Garagenband-Audioprogramm ein. Die rohe, aber ungemein frische Lo-Fi-Produktion gefällt so, dass gleich drei Labels sie herausbringen wollen. Trikont erhält den Zuschlag, weil sie die Aufnahmen unverändert lassen. Ungeschönt eben. „Das Medienecho war krass“, schüttelt Lydia Daher noch im Nachhinein den Kopf. Die anschließende Tour dauert ein Jahr. „Dann hat’s mir gelangt und ich habe erst mal einen Lyrikband geschrieben.“ Dass die Popkarriere damit zunächst wieder hinüber ist, kümmert sie nicht. „Stringenz ist nicht mein Ding, ich gerate lieber auf Abwege.“

Genauso so ein Abweg ist es auch, der 2016 zum von der Stiftung Buchkunst ausgezeichneten Graphic-Poetry-Band „Kleine Satelliten“ führt. Er vereint Lydia Dahers Gedichte mit den skurrilen Bleistiftzeichnungen des US-Underground-Zeichners Warren Craghead III. Sie mochte seine Comics, also hat sie ihn gefragt, ob er mit ihr arbeiten will. Er wollte. Heraus kam „ein Buch, für dass es kein Regal gibt“, wie Daher sagt, eine Graphic Novel ohne Panelstruktur, aber trotzdem mit Sequenzen. Flankiert von hüpfenden Buchstaben, die sich zögerlich zu Wörtern vereinen. Nicht Gedicht, nicht Bild, beides gleichzeitig und nichts wirklich. Viel mehr noch als ihre zum Teil durchaus mitwippbare Musik belegt dieser Band, wieso Lydia Daher sich und ihre Arbeiten als „schwer vermittelbar“ bezeichnet.

Die Wörter kommen zuerst

Über die Frage, welche die Konstante in dieser Vielgestaltigkeit ist, muss sie nicht lange nachdenken. „Die Wörter kommen zuerst. Ohne zu schreiben, würde ich keine Musik machen.“ Dass die Songtexte trotzdem eigenständige Texte und eben keine vertonten Gedichte sind, macht deren Originalität aus. Es freut sie, dass Labels bei ihr anfragen, ob sie für sie nicht auch Songtexte liefern möchte. „Nur schreibe ich lieber für ein bestimmtes Projekt.“

Dass das Leben als nichtkommerzielle Künstlerin nicht gerade eines praller Fleischtöpfe ist, geht für Lydia Daher in Ordnung. Das Gerede vom prekären Künstlertum ist für sie viel eher Grund, wütend zu werden. „Wir sind keine Opfer, wir machen das freiwillig.“ Es sei eine starke Geste zu sagen, dass man mit Avantgarde-Jazz nicht reich würde, aber ihn trotzdem weiterspiele, sagt sie mit Blick auf ihre Bandkollegen. Für sie gilt das genauso. Angebote großer Buch- und Musikverlage habe sie stets abgelehnt, erzählt sie. „Wenn man sich in der Musik nicht ständig selbst zitiert, ist es ja eigentlich kein Pop. Pop lebt von der Wiederholung.“ Da macht sie nicht einfach so mit, sondern setzt immer aufs Neue an.

Konzert: 31. Januar, 20 Uhr, Alter Roter Löwe Rein, Richardstr. 31, Neukölln. Lesekonzert: 10. Mai, Lettrétage, Mehringdamm 61, Kreuzberg

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