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Anja Schneider und Natali Seelig in Armin Petras’ Stück „Eine Frau flieht vor einer Nachricht“ im Deutschen Theater Berlin

© IMAGO/MARTIN MÜLLER

„Eine Frau flieht vor einer Nachricht“ am Deutschen Theater Berlin: Text verschüttet, Publikum begeistert

Ein einziges Geflimmer: Armin Petras inszeniert am DT in Berlin David Grossmans Roman „Eine Frau flieht vor einer Nachricht“.

Irgendwann an diesem knapp dreistündigen Abend steht der Schauspieler Max Simonischek ziemlich verloren auf der weiten Bühne des Deutschen Theaters Berlin. Er spielt einen israelischen Soldaten, der im Angesicht des möglichen Todes über Kriegsgräuel, Angst und Folter nachdenkt. Gleichzeitig widmet er sich lakonisch einem Granatsplitter, der sich in sein Fleisch gebohrt hat, und führt kurz vor, wie der Fremdkörper bei jeder Körperbewegung mitgeht, sich ihr gleichsam natürlich anpasst.

Eine israelische Geschichte

Der Tonfall in dieser Szene ist äußerst schwierig – und exemplarisch für Armin Petras’ Bühnenadaption von David Grossmans gefeiertem Roman „Eine Frau flieht vor einer Nachricht“. Denn so, wie dessen Protagonistin vor einer Mitteilung flüchtet, flüchtet sich die Inszenierung aus dem Existenziellen heraus: Aus Angst, pathetisch zu wirken, hat der Regisseur dem Ensemble einen Ton verordnet, der wohl trocken-unsentimental daherkommen soll, eher aber auf eine seltsam kesse Art zupackend klingt. Man kennt diesen typischen Petras-Sound, der durchaus passen kann für bestimmte Stoffe. Hier tut er es leider nicht.

Grossmans 2008 erschienener Siebenhundertseiter spiegelt israelische Geschichte in einem Familienschicksal. Ora – jene Frau, die vor einer Nachricht flieht und im DT von Anja Schneider gespielt wird – bringt ihren Sohn Ofer (Tamer Tahan) zum Militärstützpunkt. Obwohl sein Dienst fast zu Ende ist, hat er sich freiwillig zu einem Einsatz im Westjordanland gemeldet. Anschließend begibt sich Ora auf eine Wanderung: Ist sie für die potenzielle Nachricht vom Tod ihres Sohnes nicht erreichbar, kann sie ihr nicht überbracht werden. Und was nicht mitgeteilt wird – so Oras psychologische Hilfskonstruktion, um den Schrecken zu bannen –, ist nicht.

Ihre Fluchtreise unternimmt sie zusammen mit dem biologischen Vater ihres Sohnes, Avram – jenem Soldaten mit dem Granatsplitter, den der Krieg zu einem früh ergrauten, traumatisierten, versehrten Menschen gemacht hat. Zwischen Dringlichkeit und Resignation (ob seiner Reaktionen) erzählt Ora alias Schneider diesem erschöpften Menschen, dessen Erloschenheit Simonischek wiederum überzeugend zu fassen bekommt in seiner Darstellung, unermüdlich von Ofer, um ihn am Leben zu halten – und damit auch von ihrem eigenen Leben an der Seite seines Freundes Ilan (Kaspar Locher).

Grossmans Roman trägt punktuell autobiografische Züge: Während der Arbeit an dem Text wurde der Sohn des Autors, Uri, 2006 im zweiten Libanonkrieg getötet.

Armin Petras fährt für seine Inszenierung in geradezu exzessiver Weise Bühnenmittel auf. Gerade im ersten Teil, vor der Pause, springt der Abend atemlos zwischen den Szenen. Zu Beginn erscheint – Ort der Begegnung von Ora und Avram anno 1967 – im Schummerlicht ein Krankenhausbett, verdeckt von einem Gazevorhang, auf dem sich zusätzlich zum hinter ihm stattfindenden Spiel dokumentarische und Live-Inszenierungs-Bilder abwechseln.

Überall scheint es an diesem Abend irgendwo zu flimmern, ständig wird etwas gesendet, man hat arge Orientierungsschwierigkeiten im Parkett zwischen all den Bild-, Ton- und Informationsüberlagerungen.

Später geht es – an der Grenze zur Flapsigkeit – per Auto mit Fahrer Sami (Natali Seelig) zum Militärstützpunkt, zwischendurch tritt eine Reporterin (Julischka Eichel) an die Rampe, und Live-Musik (Micha Kaplan) fehlt auch nicht in der riesigen Bühnenlandschaft aus Bretterbuden, die Peta Schickart mit enormem Aufwand ins DT gewuchtet hat und die irgendwie sämtliche Handlungsorte abdecken soll. 

Der Text selbst wird darunter geradezu verschüttet. Großen Applaus gab es am Premierenabend dennoch. Am längsten und intensivsten für den Autor, der – ein ungeheuer berührender Moment – dabei sehr lange und sehr ruhig an der Rampe stehen blieb.

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