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Arthur Howitzer Jr. (Bill Murray) ist dem legendären Herausgeber des "New Yorker", Harold Ross, nachempfunden.

© Twentieth Century Fox Film

"The French Dispatch" im Kino: Eine Liebeserklärung in Tränengasschwaden

Wes Andersons Episodenfilm "The French Dispatch" ist eine Hommage an den Journalismus alter Schule - und an seine Wahlheimat Frankreich.

Von Andreas Busche

Von einem Chef wie Arthur Howitzer Jr., Herausgeber des Magazins „The French Dispatch“, können Journalist:innen nur träumen. Er diskutiert im persönlichen Gespräch mit seinen Mitarbeiter:innen einzelne Sätze und Formulierungen; statt Artikel zu kürzen – oder gar nicht zu veröffentlichen – weist er kurzerhand an, den Seitenumfang zu erweitern. Um Platz zu schaffen, können auch schon mal Anzeigen aus dem Blatt fliegen. Aber sein Regime ist streng: „Weinen verboten“ steht über der Tür seines Büros (auch keine Freudentränen). Seinen journalistischen Rat haben sich vermutlich schon Generationen von weniger talentierten Autor:innen zu Herzen genommen: „Lassen Sie es einfach klingen, als wäre es mit Absicht so geschrieben worden.“

Dieser Arthur Howitzer ist natürlich eine Erfindung des Regisseurs und Träumers Wes Anderson, der – nicht nur seinen Filmen nach zu urteilen – in seiner eigenen kleinen Welt lebt. Wobei Howitzer und das Autor:innenteam des fiktiven „The French Dispatch“ (gleichzeitig der Titel von Andersons zehntem Film) auf wahren Figuren beruhen. Der exzentrische Verleger ist dem „New Yorker“-Gründer Harold Ross nachempfunden, der frühe Kurzgeschichten einiger der größten amerikanischen Schriftstellerinnen und Schriftsteller des 20. Jahrhunderts publizierte. Bill Murray spielt und spricht ihn wie gewohnt mit lakonischer Nicht-Mimik und emotionslosen Kadenzen. Passenderweise heißt das beschauliche französische Städtchen, in dem der transkontinentale Ableger des Hauptblatts aus dem fernen Kansas erscheint, Ennui-sur-Blasé. Mehr Wes Anderson ist wohl nicht mal in einem Wes-Anderson-Film möglich.

Als „The French Dispatch“ im vergangenen Juli mit einem Jahr Verspätung auf dem Filmfestival in Cannes seine Weltpremiere feierte, nannte die Kritik Andersons Episodenfilm eine Liebeserklärung an den amerikanischen Magazinjournalismus. Das ist in der Form sicher richtig: Jede der drei Episoden ist die Verfilmung einer Reportage aus dem „Dispatch“, eine bizarrer und spleeniger als die andere; plus einem Nachruf auf den verstorbenen Herausgeber, dessen Tod das Ende des Magazins bedeutet. Vielleicht wäre es daher angebracht, „The French Dispatch“ selbst als Nachruf auf ein journalistisches Genre zu verstehen, das im schnelllebigen Zeitungsgeschäft heute nicht zuletzt von der Integrität – und dem Geld – eines Arthur Howitzer abhängig ist. Das übrigens war schon vor hundert Jahren nicht anders.

Um „The French Dispatch“ in einem größeren Zusammenhang zu sehen – sprich: dem Paralleluniversum Wes Andersons –, lohnt ein Blick auf seinen letzten Realfilm „Grand Budapest Hotel“, der ebenfalls in einem fiktiven Europa spielt. (Die Figuren seiner beiden Animationsfilme „Der fantastische Mr. Fox“ und „Isle of Dogs“ sind via Wurmloch mit der Hauptgalaxie verbunden.) Das journalistische Format des französischen Supplements eines amerikanischen Wochenmagazins ist für Wes Anderson die direkteste Verbindungslinie von Ostküsten-Kultiviertheit und einer europäischen Sensibilität, denen der gebürtige Texaner, inzwischen mit Wohnsitz Paris, schon immer näher stand.

Insofern entspricht ein Owen Wilson als rasender Reporter Herbsaint Sazerac, der auf einem Hipster-Rennrad wie aus dem Manufactum-Katalog durch die verwinkelten Gassen (und „Schmuddelecken“) eines pittoresken französischen Städtchens radelt, exakt Andersons nostalgischer Vorstellung eines guten alten Europas.

Wer blinzelt, verpasst einen Star

Seine mit viel Liebe zum Detail kuratierten Tableaux vivants erinnern mit der zunehmenden Obsession des Regisseurs für die guten und schönen Dinge tatsächlich an die Seiten eines Katalogs. Anderson-Afficionados stören sich an der Leblosigkeit seiner Kompositionen sowieso nicht, Skeptiker dürften sich auch von „The French Dispatch“ nicht konvertieren lassen; oder sollten eher eine von seinen Ausstellungen besuchen. Etwas Museales umgibt auch „The French Dispatch“, er ist aber so weit von jeglicher Realität entrückt, dass man sich gerne in dieses Fantasie-Frankreich begibt, in dem Jules & Jim an der Seite des Paris-Exilanten James Baldwin die 68er-Studentenunruhen nachspielen.

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Bizarr beginnt gleich die erste Episode „Das Beton-Meisterwerk“ von der Kunstkritikerin J.K.L. Berensen (Tilda Swinton): Ein nacktes Model (Léa Seydoux) posiert für einen genialen Künstler (Benicio del Toro). Gleich nach der Session schlüpfen sie wieder in ihre Alltagskleidung – sie in die Uniform einer Gefängnisaufseherin, er in eine Zwangsjacke. Die Kritikerin inspiriert diese sadomasochistische Arbeitsplatzbeziehung, auch das Interesse eines windigen Mäzen (Adrien Brody) ist geweckt. Dumm nur, dass der neue Star der internationalen Kunstszene, ein psychopathischer Mörder, sein abstraktes Meisterwerk als Fresko an eine Wand im Gefängnis gemalt hat. Unveräußerliche Staatskunst, gewissermaßen.

Das Schaulaufen der Stars in einem Film von Wes Anderson findet mit „The French Dispatch“ einen vorläufigen Höhepunkt. Man sollte tunlichst das Blinzeln vermeiden, um kein bekanntes Gesicht zu verpassen. Das gilt im Übrigen auch für die zahlreichen Details im Hintergrund oder die grafischen Elemente, die Anderson in der 68er-Episode „Revisionen eines Manifests“ von Lucinda Krementz (Frances McDormand) als Metatext direkt in seine ohnehin schon überladenen Bilder hineinschreibt. Mehr Stars hat man zuletzt nur in „Avengers: Endgame“ mit seinen über zwanzig Hauptrollen gesehen. Im Grunde trifft auch auf „The French Dispatch“ zu, was schon für das gleichnamige Magazin gilt: Solche Filme müssen sich Hollywoodstudios heutzutage noch leisten wollen. Wes Anderson scheint hier als einer der letzten seiner Art einen (allerdings vor-pandemischen) Freifahrtschein zu besitzen.

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Truffaut trifft Godard

Gut für das Kinopublikum, das momentan noch – anders als bei anderen Filmen aus dem Haus Disney – exklusiv das Vergnügen hat. Mit „Revisionen eines Manifests“ nimmt „The French Dispatch“ nach einem gemächlichen Auftakt an Fahrt auf, die Episode verbindet das stilisierte Truffaut-Schwarz-Weiß mit dem Verité-Agitprop Godards. Beim Dinner wehen von draußen Tränengasschwaden durchs offene Fenster, die Auseinandersetzung zwischen Polizei und Studierenden wird auf dem Schachbrett entschieden – und am Ende, so viel Klischee muss sein, bekommt der Junge (Timothée Chalamet) das Mädchen (die Entdeckung Lyna Khoudri). Anderson ist, nimmt man es genau, ein stilbewusster Reaktionär. Die Frage sei erlaubt, auf welcher Seite der Barrikaden er 1968 wohl gestanden hätte.

(In 14 Berliner Kinos, auch OV/OmU)

Das Episodische ist die perfekte Form für das Kino von Wes Anderson, das sich immer schon mehr für eine Idee als für eine Geschichte interessierte. Darum findet „The French Dispatch“ mit der dritten Episode auch seinen Höhepunkt, weil sie um eine Leerstelle kreist, die an Anderson in der Vergangenheit öfter kritisiert wurde. Jeffrey Wright spielt den von James Baldwin inspirierten Roebuck Wright, der bei seinem Porträt über einen Starkoch (Stephen Park) in einen Entführungsfall verwickelt wird. Der Sohn des Polizeichefs (Mathieu Amalric) wurde gekidnappt, der Polizeikoch spielt eine tragende Rolle bei der Befreiung – nach einer Cartoon-Verfolgungsjagd. Mit der Baldwin-Figur nimmt Anderson das erste Mal in seinem sehr weißen, heteronormativen, bürgerlichen Universum einen Perspektivwechsel vor.

Die Pointe besteht darin, dass Wright die entscheidende Passage seiner Reportage in vorauseilendem Gehorsam beinah selbst zensiert hätte. Der untrügliche Howitzer ordnet an, das ursprüngliche Ende zu drucken, in dem der Autor implizit davon erzählt, wie es sich anfühlt, fern der Heimat ein Leben zu führen, in dem er nicht zuerst als Schwarzer oder Homosexueller wahrgenommen wird. Dieses Ennui-sur-Blasé ist ein wahrlich utopischer Ort.

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