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Deutschlands prominentester Historiker. Heinrich August Winkler.

© LAIF/ Marcus Höhn

Entkommene Aufstände: Heinrich August Winkler analysiert „Die Deutschen und die Revolution“

Der bekannteste Historiker des Landes untersucht Kippmomente der Geschichte.

Von Maximilian Mengeringhaus

‚Reform statt Revolution‘ könnte der politische Wahlspruch der Deutschen lauten, blickt man auf ihre Geschichte. Lieber hie und da ein paar wohlbedachte Zugeständnisse, als Chaos und Kontrollverlust riskieren. Der blutige Fortlauf der französischen Revolution war den lange noch vom Dreißigjährigen Krieg traumatisierten Landen dabei stets das mahnende Gegenbeispiel.

Heinrich August Winkler, Emeritus der Humboldt-Universität und seit seinen backsteindicken Monographien zur deutschen und europäischen Geschichte so etwas wie unser inoffizieller Staatshistoriker, ist nun angetreten, das ambivalente Verhältnis der Deutschen zum Umsturz zu untersuchen. Auf diesmal schlanken 176 Seiten kondensiert der 85-jährige Bundesverdienstkreuzträger sein Wissen über revolutionäre Kippmomente der deutschen Geschichte zwischen dem Scheitern der Frankfurter Nationalversammlung und den friedlichen Protesten zum Ende der DDR.

Kritisch reflektiert werden die Zäsurdaten von 1871, 1918 und auch 1933, während Einlassungen zu weiter zurückliegenden Ereignissen wie den Bauernkriegen oder der Mainzer Republik leider fehlen. Die Deutschen und die Revolution folgt der lesefreundlichen Ausrichtung von Winklers letzten Publikationen, verzichtet auf Begriffsgeklaube und beschränkt sich auf prägnante Thesen, die mehr das interessierte Laienpublikum denn die Fachkollegenschaft adressieren.

In jedem der sechs knapp gehaltenen Kapitel kann Winkler aus der Fülle seiner vorangegangenen Forschung schöpfen. Etwa wenn er das Scheitern der 1848er im allzu optimistischen Erwartungshorizont begründet sieht, Deutschlands Einheit zu stiften und zeitgleich auch noch weitreichende Bürgerfreiheiten zu ertrotzen.

Dennoch zieht er rückblickend auf die kurze Episode des Paulskirchenparlaments ein positives Resümee: „Es ist eine Erinnerung, die die Demokratie festigt.“ Für die Reichsgründung von 1871 lässt sich das eher nicht sagen. Eine „Revolution von oben“ nennt Winkler mit gängigem Terminus, was sich unter anderen Vorzeichen 1918 wieder ereignete – die Proklamation einer neuen Ordnung aus den bestehenden politischen Schaltzentralen heraus. Vor allem in Bezug auf die Zwischenkriegszeit zeigen sich die Stärken der Darstellung. Wo Winklers konzise Interpretationen intuitiv überzeugen, sich aber nicht immer der Diskussion stellen, gerät der Blick für die Dilemmata der Weimarer Republik glasklar.

Den Republikfeinden entgegenzutreten, ohne einen Bürgerkrieg zu provozieren, das war von Anfang an ein gefährlicher Balanceakt mit ungewissem Ausgang. Zumal in Zeiten von Reparationszahlungen und Weltwirtschaftskrise. Gekonnt bringt Winkler auf den Punkt, inwiefern die in alleiniger Regierungsverantwortung ungeschulten Parteien den Herausforderungen letztlich nicht Herr wurden: „Es war die historische Distanz der Deutschen zu den Ideen der liberalen pluralistischen Demokratie, die Hitlers Erfolg ermöglichte – und mit dem Erfolg die Katastrophe, die er nach sich zog.“

Die friedliche Revolution von 1989 als „erfolgreichste[r] Systemwechsel, den es je in Deutschland gegeben hat“ bietet nach 1848 wiederum einen zweiten, vorerst abschließenden Lichtblick. Diesen gilt es auch in wieder mal verfinsterten Zeiten nicht aus den Augen zu verlieren.

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