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Kultur: Fernsehzimmer: Politiker als Kritiker

Am Ende sind sich über Dieter Wedels "Semmelings" doch alle Beteiligten hübsch einig geworden: Mindestens zwei Folgen zu lang, lautet das Konsensurteil, etwas verwirrend und redundant zugleich, auch nicht so publikumsträchtig wie erwartet, aber passagenweise doch ganz vergnüglich anzuschauen. Der Regisseur hat bekannt gegeben, er wolle in Zukunft gar keine Sechsteiler mehr drehen, was das ZDF mit Erleichterung zur Kenntnis genommen hat.

Am Ende sind sich über Dieter Wedels "Semmelings" doch alle Beteiligten hübsch einig geworden: Mindestens zwei Folgen zu lang, lautet das Konsensurteil, etwas verwirrend und redundant zugleich, auch nicht so publikumsträchtig wie erwartet, aber passagenweise doch ganz vergnüglich anzuschauen. Der Regisseur hat bekannt gegeben, er wolle in Zukunft gar keine Sechsteiler mehr drehen, was das ZDF mit Erleichterung zur Kenntnis genommen hat. Außerdem stellte Wedel in der "Süddeutschen Zeitung" dankenswerterweise per Gegendarstellung klar, er habe sich "noch nie mit Thomas Mann verglichen". Dieter Wedel ist jetzt also wieder ganz er selbst, der Mann mit der Pudelfrisur und der Sonnenbrille, den vielen Lebenspartnerinnen und der bemerkenswerten Fähigkeit, seinen Schauspielern alles abzuverlangen.

Wirklich erstaunlich an diesem Fernseh-Ereignis ist die sehr deutsche Diskussion darüber, ob der Regisseur mit seinen Semmeling-Geschichten Politik "realitätsgetreu" abgebildet habe. Wenn sich ein TV-Spiel zur Abwechslung mal mit politischer Wirklichkeit beschäftigt, kommen Journalisten immer auf die top-originelle Idee, Politiker als Fernsehkritiker anzuheuern. Bei dem Wedel-Mehrteiler ist dieses Verfahren besonders extensiv betrieben worden. Hamburgs Ex-Bausenator Eugen Wagner sorgte sich, das ZDF habe alle Vorurteile bedient, die sich im Laufe eines Bürgerlebens über die Politik angestaut hätten. Auf der Strecke bleibe dabei der Volksvertreter, der sich in aller Regel "redlich bemüht, für sein Gemeinwesen das Beste herauszuholen". Doktor Henning Voscherau war nicht amüsiert, in dem Film-Bürgermeister "Dr. Hennig" eigene Züge zu entdecken, und fand es verwirrend, daß das echte Hamburger Rathaus als Kulisse für vergröberte Hanswurstiaden und alkoholdunstigen Klamauk herhalten musste. "Wer soll da Fantasie und Wirklichkeit auseinanderhalten?", fragte Voscherau die Leser der "Welt".

Sehr ausführlich hat Hamburgs Ex-Wirtschaftssenator Thomas Mirow das Wedel-Werk auseinandergenommen. Der "demonstrativ deftige" und zudringliche Umgang des neu gewählten Bürgermeisters (Heinz Hoenig) "mit allen Frauen in seiner Umgebung" sei bestenfalls eine "Bauernkomödie". Überhaupt würden "die Wirkungsweisen der Großstadtpolitik nicht durchschaut und offengelegt, sondern simplifiziert und stigmatisiert", klagte Mirow. Der amtierende Erste Bürgermeister Ole von Beust (der ohne Kultursenator) ist hingegen medientheoretisch gebildet und weiß, dass die Semmelings nicht den Anspruch haben, "die Wirklichkeit im Original abzubilden".

Korrupt, verschlagen, tumb

Eine solche Debatte zeigt, dass in Deutschland keine ausgeprägte Tradition des Politthrillers oder der Politsatire existiert. Reale politische Orte oder Mandatsträger mit konkreter Amtsbezeichnung werden im Fernsehspiel ungern gezeigt (aus Angst oder Sorgen um den Persönlichkeitsschutz), im hiesigen Kinofilm sind politische Themen seit Jahrzehnten völlig randständig. In Frankreich, Italien, auch in den angelsächsischen Ländern gehören korrupte, verschlagene, tumbe oder machthungrige Minister und Parlamentarier dagegen zum Standardpersonal der Filmgeschichte. Mit den Mehrteilern "House of Cards" und "To Play the King", in denen sich der fantastische Hauptdarsteller Ian Richardson mit allen Mitteln den Weg nach oben bahnt, hat das britische Fernsehen Standards für spannende und differenzierte Fernsehfilme geliefert, die der aktuellen Politik auf die Schliche kommen, ohne einem naiven Abbildrealismus zu verfallen. In den USA regt sich niemand auf, wenn Gene Hackman mal in der Rolle des Verteidigungsministers ("No Way Out", 1987), mal als Präsident ("Absolute Power", 1997) seine Geliebte umbringt.

Hier zu Lande würde eine wilde Diskussion losbrechen, ob ein Bundespräsident oder -kanzler überhaupt zu solchen Untaten fähig wäre. Weil Deutschlands Fernsehspiel-Macher politische Themen eigentlich nicht mögen, sehen die wenigen Versuche, in denen man sich dann doch politischen Komplotten und Intrigen zuwendet, immer ziemlich angestrengt und schabloniert aus. Anstatt darüber zu sinnieren, ob echte deutsche Rathäuser in populärer Fernsehfiktion vorkommen dürfen, wäre zunächst das politische Leben als Stoff für den zeitgenössischen TV-Film wiederzuentdecken - eben nicht nur für "den Wedel", sondern auch mit jüngeren Autoren. Beim ZDF, wenn es sich traute, kann es nach dem absonderlichen Prozedere um die Intendantenwahl an Stoffideen jedenfalls nicht mangeln.

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