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In weiter Ferne, so nah. Wim Wenders, hier beim Filmfestival in Venedig 1985, hat sich erst spät mit Deutschland versöhnt, aber in seinem Herzen ist er immer ein Kinoreisender geblieben.

© imago/Leemage

„Wim Wenders, Desperado“ ist im Kino: Filmporträt mit Weggefährten

Klassentreffen: Der Dokumentarfilm „Wim Wenders, Desperado“ gibt Einblick in eine faszinierende Karriere.

Von Andreas Busche

Ein Kameraflug über die majestätischen Felsen des Big Bend Nationalparks nahe der mexikanischen Grenze, nur einen Katzensprung vom pittoresken Rio Grande entfernt. Ein Mann mit roter Schirmmütze, in der Hand einen Wasserkanister, torkelt durch die Wüste, über ihm kreist ein Geier.

Die Eröffnungsszene ist in die Filmgeschichte eingegangen. Wim Wenders’ „Paris Texas“, bei den Filmfestspielen in Cannes 1984 mit der Goldenen Palme ausgezeichnet, ist der erst deutsche Klassiker nach dem Ende des Jungen Deutschen Films – datiert man diese Zäsur auf den Todestag Fassbinders.

Es ist aber nicht Hauptdarsteller Harry Dean Stanton, der durch die ersten Minuten des Filmporträts „Wim Wenders, Desperado“ von Eric Friedler („It Must Schwing: The Blue Note Story“) und Andreas „Campino“ Frege schlurft, sondern der Regisseur selbst.

Wenders’ blaue Hipsterbrille wirkt wie ein Fremdkörper in der archaischen Landschaft, die Plastikflasche, erfährt man am Schluss, wurde nach den Dreharbeiten ordnungsgemäß entsorgt. Nachhaltiger deutscher Film.

Die NDR-Produktion ist ein Fernsehauftrag, aber nach der Aufnahme in die offizielle Auswahl der „Classics“-Sektion des in diesem Jahr ausgefallenen Cannes-Festivals bekommt „Wim Wenders, Desperado“ doch noch einen Kinoauftritt. Wenders hat als ewiger Fanboy selbst eines der schönsten Filmporträts über das klassische Hollywood gemacht: „Nick’s Film – Lightning Over Water“ über den Regisseur Nicholas Ray.

Wim Wenders und Werner Herzog im Hotelzimmer 666

Die schmerzvolle Intimität von Wenders’ Begegnung mit dem todkranken Ray erreicht Friedlers und Freges Dokumentarfilm natürlich nicht. Dafür versammeln sie aber einen Reigen von Wenders-Weggefährten – höchst lebendige und, in älteren Interviews, verstorbene wie Stanton, Bruno Ganz und Robby Müller. Stellenweise erinnert ihre Werkschau an ein Klassentreffen.

Ihr roter Faden sind die Drehorte aus Wenders’ bekanntesten Filmen, die er noch einmal aufsucht. Friedler und Frege stellen ikonische Szenen aus „Alice in den Städten“, „Der amerikanische Freund“ und „Himmel über Berlin“ nach; zugegeben, nicht die originellste Idee, aber sie funktioniert verblüffend, weil sie damit das übliche Einerlei aus Filmszenen und Talking Heads elegant umgehen.

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So kehrt Wenders mit Werner Herzog in jenes Hotelzimmer 666 in Cannes zurück, in dem er diesen fast vierzig Jahre zuvor während des Festivals (neben anderen Größen des Weltkinos wie Godard, Antonioni und Spielberg) nach der Zukunft des Kinos befragt hat. Fun Fact am Rande: Wenders’ eigene Antworten klingen heute deutlich skeptischer als 1982, kurz vor dem ersten Gipfel seines Ruhms. Oder ist es doch nur Ironie?

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Herzog erklärt dann auch auf seine unnachahmliche Art die Bedeutung Wenders’ für das deutsche Kino: „Seine amerikanischen Filme haben nichts mit der deutschen Wirklichkeit in den siebziger und achtziger Jahren zu tun. Zum Glück.“ Mit dem Begriff „Junger Deutscher Film“ können sie beide immer noch nichts anfangen. Herzog: „Wir hatten jeder eine eigene Tradition, brauchten uns aber.“

Wenders selbst erzählt von seinem Umzug in die USA 1978, nachdem er sich mit „Der amerikanische Freund“ langsam an seine große Liebe Hollywood herangetastet hatte.

Wenders Filme haben mit der deutschen Wirklichkeit nichts zu tun

Nur wenige Wochen nach Kriegsende geboren, stellte er früh fest, dass „irgendetwas in Deutschland nicht stimmte“. Er brauchte einige Jahre in der Fremde – und ein künstlerisches Fiasko mit dem von Francis Ford Coppola produzierten Film Noir „Hammett“ –, um sich sein Deutschsein einzugestehen, erinnert sich Wenders. Er und Coppola, inzwischen versöhnt, führen im Film noch ein kurzes Fernduell über ihre damalige Meinungsverschiedenheit.

Seine Liebe zur amerikanischen Landschaft und zum Western-Genre habe er in den Industriebrachen seiner Kindheit in Oberhausen entdeckt, erzählt Wenders, während er zwischen den mittlerweile stillgelegten Fabriken spaziert.

„Es war ein Aufbrechen in eine Zukunft, mit der man auch Utopien verknüpft; aber aus einer Leere heraus.“ Amerika verkörperte für ihn immer das Gegenteil. „Hier war das Leben wie im Film Noir, Amerika war Kino.“ Ähnlich beschreibt Willem Dafoe, der mit Wenders 1993 „In weiter Ferne, so nah“ gedreht hat, diese Faszination. „Wim Wenders hat ein Bild von Amerika, das nur ein Europäer haben konnte, der Amerika sehr liebt.“

Er ist bis heute ein Reisender geblieben

Erst mit seinem „Heimkehrerfilm“, wie er „Der Himmel über Berlin“ nennt, versöhnte er sich mit Deutschland. „Ich habe versucht, die Wurzeln dieses Landes und seine Sprache zu definieren.“ Es war für Wenders auch eine innere Einkehr nach einer Reihe von Roadmovies. Aber er ist bis heute ein Reisender des Kinos geblieben, mit Dokumentarfilmen über den Buena Vista Social Club und Sebastião Salgado.

[Der Film läuft ab dieser Woche in sechs Berliner Kinos].

„Wim Wenders, Desperado“ kommt seinem Protagonisten in zwei Stunden so nah, wie das eben möglich ist, ohne das Geheimnis seines Kinos auszuerklären. Wer dieser Wim Wenders ist? „Ich will das gar nicht wissen“, lacht der nur. Sogar sein Witz blitzt gelegentlich auf.

Wenders ist heute, ob er will oder nicht, ein deutsches Kulturgut. Das zeigt sich schon darin, dass er mit seiner bloßen Aura selbst Pop-Phänomene wie BAP oder Die Toten Hosen kulturell noch aufzuwerten versteht.

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