zum Hauptinhalt
„House of Dance“ bleibt nach der Aufführung im Rahmen des Festivals im Repertoire der Schaubühne.

© Gianmarco Bresadola

FIND-Festival an der Schaubühne: Auftakt mit blassem Anti-Traumfabrik-Theater

Das Festival Internationale Neue Dramatik beginnt mit dem Stück „House of Dance“. Es spielt in einem Stepptanz-Studio in der Provinz.

Grundzäh ist sie, die Stimmung im „House of Dance“. Auch, wenn hier permanent versuchsspektakuläre Choreografien aufs Szenario gesteppt werden. Denn hinter dem euphemistischen Namen dieser Einrichtung verbirgt sich ein abgerocktes Tanzstudio in der US-amerikanischen Provinz. Wer hier zugange ist, hat die Zeit der Illusionen in der Regel hinter sich.

Das beginnt schon bei Martle, dem Tanzlehrer (Holger Bülow), der zu vorgerückter Stunde folgenden Einblick in seinen Seelenhaushalt gibt: „Die Leute denken, wenn man so lange unterrichtet hat wie ich, ist man in Topform. Ich bin ok in Form.“ Auch der Korrepetitor Jo (Henri Maximilian Jakobs) scheint nichts mehr vom Leben zu erwarten.

Wettbewerb in der lokalen Gemeindehalle

Ihm rutscht häufiger mal ein Fläschchen aus der Hand in Tina Satters Stück, das genauso heißt wie der Ort, an dem es spielt: „House of Dance“. Die New Yorker Autorin hat es zum Auftakt des FIND-Festivals selbst zur deutschsprachigen Erstaufführung gebracht an der Berliner Schaubühne, wo es anschließend im Repertoire bleiben wird. Nachdem Satter im letzten Jahr mit ihrer Produktion „Is This A Room“ beim FIND zu Gast war, arbeitet sie jetzt erstmals mit einem deutschsprachigen Ensemble zusammen.

Im Stück ist lediglich Gigi (Genija Rykova), eine Enddreißigerin, die trotz eigentlichen Hausverbots im Tanzstudio eifrig mitsteppt, zumindest noch ein bisschen auf der Suche: nach dem „Onesie“, den sie trug, als sie „großartig“ war. Die Ausnahme in diesem Klub der Untoten bildet – kraft ihrer Jugend – Toni (Hêvîn Tekin).

Toni hegt – genau wie früher mutmaßlich Gigi – die Hoffnung, tanzend der Provinzenge mitsamt ihren herausforderungsvollen Familienverhältnissen zu entkommen und trainiert für den morgigen Wettbewerb in der lokalen Gemeindehalle: Es geht um die Aufnahme in die „Teen Tap Dance Road Show“. Toni hat – diese Einsicht vermittelt sich auch ohne Martle’sche Tanzlehrer-Expertise – nicht den Hauch einer Chance.

Damit wäre das, was in dem 70-Minüter an der Schaubühne passiert, im Grunde schon hyperepisch beschrieben. Mehr erfährt man nicht über die Figuren. Waren Martle und Gigi mal ein Paar? Wieso will man ihr den Zugang verwehren – nicht nur zum Studio, sondern selbst zu ihrem leitmotivischen „Onesie“, den Jo offenbar im Studio versteckt hat? Alles bleibt absichtsvoll im Andeutungsstadium stecken.

Toni hat nicht den Hauch einer Chance

Schon klar: Hier soll sich augenscheinlich nichts einlösen, nichts aufklären, es handelt sich um Anti-Traumfabrik-Theater, das offenbar sein will wie das Dasein selbst. Nach dem Motto: Das Leben ist ein einziger Workshop: verstolpert und in progress. Wenn da mal kurz ein Glanznümmerchen gelingt, geht allerspätestens der übernächste Schritt wieder daneben.

Aber Konzept hin oder her: Für Figuren, die keine Geschichte entwickeln, fällt es schwer, Interesse aufzubringen. Um auf der Bühne die „Ausdehnung der Seele“ zu entdecken, über die Jean-Luc Nancy im Programmheft referiert, oder neue Einsichten in „Sinn und Sinnlichkeit des Subjekts“ zu gewinnen, wozu ebendort Judith Butler animiert, muss man jedenfalls überdurchschnittlich zugeneigt und willensstark sein. Aber gut: Die gewaltige Kluft zwischen theoretischem Überbau und praktischem Basisgeschehen ist schließlich auch ein Phänomen, das man bestens aus dem Alltagsleben kennt.

Das Leben ist ein einziger Workshop

Immerhin die Schauspielerinnen und Schauspieler scheinen großen Probenspaß gehabt zu haben am Erlernen der Steptanz-Choreografien, die – performativ ebenfalls in bewusst amateurstilistischer Lebensnähe gehalten – tatsächlich den Großteil des kleinen Abends ausmachen.

Kurzum: Warum die Schaubühne ausgerechnet dieses Produktiönchen an den Beginn ihres traditionellen Festivals der internationalen neuen Dramatik gestellt hat – basierend auf einem Stück zumal, das bereits ein knappes Jahrzehnt alt ist –, wird auf ewig ihr Geheimnis bleiben. Dafür stehen die Zeichen günstig, dass es in den kommenden Festivaltagen umso höher hergeht.

Unter anderem unternimmt die legendäre New Yorker Wooster Group unter dem Titel „A Pink Chair (In Place of a Fake Antique)“ eine szenische Rekonstruktion des vorletzten Stücks von Tadeusz Kantor. Und aus Teheran ist die Produktion „ist“ zu Gast, in der die junge Autorin, Schauspielerin und Regisseurin Parnia Shams auf Basis eigener Erfahrungen den repressiven Umgang mit Schülerinnen einer Teheraner Mädchenschule thematisiert.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false