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Holzschnittig. Thalheimers Ensemble im Glaubenskrieg: Veit Schubert, Tilo Nest, Andreas Döhler, Martin Rentzsch, Stefanie Reinsperger, Laura Balzer und Josefin Platt.

© Matthias Horn

Theater-Ausgrabung am Berliner Ensemble: Flucht aus der Gegenwart

Düstere Parabel: Michael Thalheimer inszeniert das Vertreibungsdrama „Glaube und Heimat“ am Berliner Ensemble.

Wirklich hell wird es an diesem Abend auf der Bühne des Berliner Ensembles nicht. Ständig wabert Nebel durch den Raum. Vom Schnürboden ergießt sich gelegentlich ein feiner Regen, der bis in die vorderen Parkettreihen hinein für Kältewellen sorgt. Und wer auf dem Szenario stürzt oder aus anderen Gründen in die Knie sinkt – wofür Michael Thalheimers Inszenierung reichlich Gelegenheit bietet – erhebt sich anschließend mit pfützendreckverschmierten Klamotten. Sofern er überhaupt wieder aufsteht.

Das Drama, das hier zur Premiere kommt – Karl Schönherrs 1910 in Wien uraufgeführter Dreiakter „Glaube und Heimat“ – spielt zur Zeit der Gegenreformation in Österreich. Auf kaiserliches Gebot müssen alle Lutheraner binnen weniger Stunden entweder ihrem Glauben abschwören oder das Land verlassen. An Christoph Rott und seiner Frau, „der Rottin“ – verkörpert von Andreas Döhler und Stefanie Reinsperger – wird die Tragödie exemplarisch durchgespielt.

Rott lebt seinen protestantischen Glauben nur noch im Geheimen; genau wie sein todkranker Vater „Alt-Rott“, den Josefin Platt mit einer offenen kunstblutverkrusteten Bauchwunde spielt. Schließlich wurde schon sein Bruder Peter (Jonathan Kempf) deswegen des Landes verwiesen. Und der sieht, als er eines Tages unerwartet in der Tür steht und seine Familie um Hilfe ankriecht, so schlecht aus, dass die ihn erst gar nicht erkennt. Die Rottin indes, selbst katholisch, hat die Angst vor dem mit der Durchsetzung des Dekrets beauftragten „Reiter des Kaisers“ hart und bösartig gemacht.

Das Stück setzt so offensiv aufs Melodramatische, dass es ans Kitschige nicht nur grenzt

Schroff, wiewohl in perfekt sitzendem Kunst-Dialekt, weist sie die Nachbarn ab, die als nächste das Land verlassen müssen und in Thalheimers Inszenierung schlotternd aus dem Nebel auftauchen. Dabei bittet Kathrin Wehlisch als „die Sandpergerin“ so herzerweichend gefühlsausdrucksungeübt um die Adoption ihrer beiden Hennen und ihres Rosmarinstockes, dass zumindest Rott beinahe die Tränen kommen: „Hab mein Freud’ ghabt damit!“, stößt sie hervor, während Martin Rentzsch als Gatte Sandperger angemessen betreten daneben steht.

Karl Schönherrs Stück setzt so offensiv aufs Melodramatische, dass es ans Kitschige nicht nur grenzt: Jeder Auftritt ein Emotionsschocker, jedes „Blumenstöckl“ ein Frontalangriff auf die Tränendrüsen. Dass es sich bei den betroffenen Personen um eine Spezies vom Schlage „auswendig stachlig, aber inwendig gut“ handelt, wie Rott einmal stellvertretend seine Angetraute charakterisiert, steigert plangemäß noch die Wirkung. Nach dem Motto: Wessen Herz sich nicht heillos zusammenkrampft, wenn Leute, die keine Befindlichkeitstalks kennen, im Angesicht der Not ihr Innerstes ungelenk nach außen kehren, der hat keins.

Diese „Auswendig-stachlig-aber-inwendig-gut“-Rhetorik funktioniert auf der Darstellungsebene nicht bei allen so perfekt wie bei Döhler und Reinsperger. Als Thalheimer’sches Spitzenpersonal vermitteln sie erfolgreich den Eindruck, dass jeder ihrer kargen Äußerungen eigentlich gleich eine kleine Explosion folgen müsste – so kunstvoll-hölzern, wie hier Arme und Beine ständig hilflos etwas mitteilen wollen, was verbal in der Beziehung nicht vorgesehen ist.

Der Regisseur will mit einer quasi zeitlosen Parabel geradewegs in die Diskursgegenwart vordringen

Wie alle anderen stehen sie dabei als Rott und Rottin im schummrigen Halbdunkel vor einem riesig aufragenden Quader der Bühnenbildnerin Nehle Balkhausen, der sich – zu einer wie geschmiert ans Herz greifenden Musik von Bert Wrede – nach jeder Szene dreht, um die nächste Mikrotragödie an die Rampe zu spülen. Die „Sandpergerin“ liegt bald in ihrem Kunstblut auf dem Boden, weil der adäquat böse aufspielende Reiter des Ingo Hülsmann sie kurzerhand erstochen hat. Rott, der sich schließlich doch offen zu seinem Glauben bekennt, und seine Frau verlieren ihren Sohn (Laura Balzer). Und zwischendurch sackt der dickbäuchige Dramengewinnler – der „Englbauer von der Au“ (Tilo Nest) – zu Spottpreisen die Höfe der Ausgewiesenen ein: ebenfalls ein tief deprimierender Anblick.

Denn von schwer zu steigernder und vor allem unentrinnbarer Düsternis soll ja auch ausnahmslos alles sein in Thalheimers Inszenierung. Die Vermutung liegt nahe, dass der Regisseur hier mit einer quasi zeitlosen Parabel über „Heimat und Vertreibung“, wie ein begleitender Text von Bernhard Schlink im Programmheft heißt, geradewegs in die Diskursgegenwart vordringen will. Als dramatische Auseinandersetzung mit aktuellen Flüchtenden-Tragödien taugt Schönherrs Stück in seiner Holzschnittigkeit und seinem schwer zu ertragenden Pathos – so viel steht nach diesem Abend fest – allerdings eher nicht.

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