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Kultur: Flüstertöne

Eine Entdeckung: Max Wechsler im Kunstbüro.

Was zunächst als schwarze Fläche erscheint, birgt viel mehr: Ganz leicht schimmern goldgelbe Buchstabensilhouetten hinter der schwarzen Oberfläche hervor, wie ein Versprechen, eine Ahnung. Max Wechslers Werke im Kunstbüro Berlin sind voller Buchstaben und doch ohne Worte.

1938 geht der 13-jährige Jude nach Paris ins Exil, dort lebt und arbeitet er bis heute. Seine Eltern bleiben in Deutschland, werden ermordet. Die Flucht nach Frankreich war für Wechsler eine elementare Erfahrung, was den Verlust der eigenen Sprache anbelangt: Er kann kein Französisch, muss es erst lernen. Vielleicht bevölkern deshalb Buchstaben in all ihren Dicken und Größen seine Werke, mal halb verborgen hinter einer dunklen Farbschicht, mal wie hinter Gittern, mal hinter Gazestoff, der zerfetzt und zerschnipselt ist.

Bei Wechsler ist der Buchstabe nicht bloß ein Element der Kommunikation. Er hebt ihn auf eine andere Ebene, nimmt ihn als plastisches Zeichen, als Werkzeug, Gedächtnis, als Anfang aller Kultur wahr. Der Maler bedient sich aus einem Reservoir der Buchstaben, setzt sie neu zusammen, zerreißt sie, überklebt sie. „Meine Arbeit ist unendlich“, sagt er, „der Vorrat nie erschöpft, Buchstaben kennen keine Grenzen.“ So entstehen Berge und Täler, Flussbetten und Streifen am Horizont aus Buchstabenfetzen, die weit über ihren Zweck der Verständigung hinaus ästhetische Zeichen sind. Seine Werke sieht Wechsler nicht als Bilder, sondern als „Flächen“, die er dem Inneren des Zuschauers widmet. Ins scheinbar Unendliche verkleinerte Buchstaben muten wie Tapetenmuster an, dann wieder bringt er die Schriftzeichen zum Schweben, lässt sie verblassen, bis sie nur noch Tupfer vor taubengrauem Hintergrund sind. Wer einen Überblick über Wechslers Werk im Wandel der Jahrzehnte erhalten will, kann die kürzlich erschienene Monografie „Das Atmen der Stille“ (Jovis Verlag) zu Rate ziehen.

Wechsler ist auf der Suche nach einer universellen Sprache hinter den Buchstaben. Er spielt mit Licht und Schatten, mit den Erwartungen des Betrachters. Er will das Erleben des Kunstwerks nicht nur auf einer intellektuellen, sondern auch auf einer körperlichen Ebene möglich machen. Das schönste Kompliment habe ihm einmal ein Mann in seinem Atelier in Paris gemacht: Dieser habe eine Weile geschwiegen und dann gesagt: „Ihre Werke machen mir eine Gänsehaut.“ Und tatsächlich haben seine Buchstabenreliefs diese Wirkung: Still und doch voll von Unausgesprochenem scheinen sie beinahe zu flüstern. Annika Brockschmidt

Kunstbüro Berlin, Uhlandstr. 162; bis 25.8., Mi–Fr 12–19, Sa 13–16 Uhr

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