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Nicht schuldig in allen neun Anklagepunkten: der US-Schauspieler vor dem Southwark Crown Court in London.

© dpa/Alberto Pezzali

Freispruch für Kevin Spacey: Es gilt die Unschuldsvermutung

Die Vorwürfe gegen den US-Filmstar wurden vor Gericht abgewiesen. Wurde Spacey Unrecht getan? Machtmissbrauch ist oft nicht justiziabel. Über das Schwarz-Weiß-Denken bei MeToo-Vorwürfen.

David gegen Goliath, die Sympathien des Publikums sind da schnell klar. Die Ohnmächtigen stürzen einen Mächtigen vom Sockel, und alle Welt applaudiert. MeToo, sexualisierte Gewalt, Machtmissbrauch: Seit dem Weinstein-Skandal 2017 sind die Schweigekartelle gebrochen, hoffen Opfer mächtiger Männer – es sind fast immer Männer –, dass ihnen endlich Gerechtigkeit widerfährt.

So ist es hierzulande gerade bei Till Lindemann, oder auch bei Til Schweiger. Während Vertrauensstellen wie Themis den trotz MeToo-Boom nach wie vor nötigen Schutzraum der Anonymität garantieren, stürzt sich die Öffentlichkeit auf die big names und schraubt sich in die Empörungsspirale. Wir halten uns an die Unschuldsvermutung, heißt es dann, aber mal ehrlich, wusste es nicht längst jeder in der Branche? Und die Medien fungieren als Megafone.

Moral und Hype, Recht und Gerechtigkeit, Aussage gegen Aussage –  es ist komplizierter als im David-gegen-Goliath-Muster. Auch bei Kevin Spacey. Am Mittwochnachmittag wurde er freigesprochen. Die zwölfköpfige Jury im Londoner Southwark Crown Court urteilte am Ende des vierwöchigen Prozesses: nicht schuldig, in allen neun Anklagepunkten.

Die Anschuldigungen der vier anonym bleibenden Männer, die den US-Filmstar und früheren Direktor des Londoner Old Vic Theatre sexueller Übergriffe und der Nötigung bezichtigten, betreffen Vorfälle zwischen 2001 und 2013. Er habe ihnen ohne Erlaubnis in den Schritt gegriffen und in einem Fall an einem Schlafenden Oralsex ausgeübt, gegen dessen Willen. Die Vorwürfe seien haltlos oder es habe sich um einvernehmlichen Sex gehandelt, so Spaceys Verteidigung.

Hexenjagd beendet, heißt es auf Twitter

Der Schauspieler, der am Mittwoch seinen 64. Geburtstag feierte, sprach im Gericht von Demut und Dankbarkeit. Ein reuiger Mann, der keine strafbaren, aber womöglich verwerfliche Handlungen vollzogen hat? Sein Verteidiger Patrick Gibbs sagte im Schlussplädoyer, Promiskuität sei keine Straftat, und er fügte hinzu: „Sie können den Angeklagten nicht für unschuldig erklären, sondern bestenfalls für nicht schuldig“.

Bereits im New Yorker Zivilprozess von 2022 war Spacey von dem Vorwurf freigesprochen worden, er habe den Schauspieler Anthony Rapp sexuell belästigt. Spacey sagte, er könne sich an den Vorfall nicht erinnern, seine anfängliche Entschuldigung nahm er nach dem Prozess zurück. Als 2017 weitere Vorwürfe gegen Spacey publik wurden, war dessen Hollywoodkarriere abrupt beendet. Rollen wurden umbesetzt, Szenen entfernt, die Netflix-Serie „House auf Cards“ ohne ihn weitergedreht. Der Streamer verklagte den zweifachen Oscar-Preisträger erfolgreich auf 31 Millionen Dollar Schadensersatz, wegen Verstoß gegen Verhaltensrichtlinien.

In den sozialen Medien geht die Hysterie nach dem Londoner Freispruch nun weiter, mit umgekehrtem Vorzeichen. Der Vorwurf: Cancel Culture. Hexenjagd beendet, so ist es etwa auf Twitter zu lesen, trotzdem müssten die Rufmörder sich nicht verantworten. Und dass die Medien und Unternehmen wie Netflix sich entschuldigen sollten.

Kevin Spaceys Homosexualität

Hexenjagd? Welcher Arbeitgeber würde einen Mitarbeiter weiter beschäftigten, prominent oder nicht, wenn mehrfache, voneinander unabhängige Missbrauchsvorwürfe gegen diesen erhoben werden, auch vor Gericht? Der Grat zwischen verantwortungsvoller Unternehmenskultur und profitorientierter Imagepflege ist schmal.

Im Fall Harvey Weinstein (zwei Schuldsprüche: 39 Jahre Haft) war die Beweislage erschütternd klar, aber viele Arten des Machtmissbrauchs sind nicht justiziabel. Gefühle, Begierden, Einsamkeit, Sex, Gewalt, es gibt eine klare Grenze, aber manchmal ist sie unfassbar schwer auszumachen.

Weil Erinnerungen lange zurückliegen, Alkohol im Spiel war, Erlebnisse unterschiedlich und traumatisierend wahrgenommen werden, handelt es sich jedoch noch lange nicht um Lügen. Weder von der einen, noch von der anderen Seite. Dass Spacey sich erst mit Bekanntwerden der ersten Vorwürfe als homosexuell outete, wurde ihm als unangemessene Entschuldigung ausgelegt. Aber wer weiß, welche Rolle Scham, Imagedruck, Diskriminierung bei seinem Verhalten spielten? Das System Hollywood war sehr lange keineswegs offen für Diversität.

Keine Vorverurteilung: Das gilt nicht nur für die Goliaths, sondern auch für die Davids. Es gilt für die damals jungen Männer, die zu Beginn ihrer Karriere mit Spacey zu tun hatten. Sie gilt für Dylan Farrow, deren Anschuldigungen, ihr Stiefvater Woody Allen habe sie im Alter von sieben Jahren missbraucht, während dessen Sorgerechts-Schlammschlacht mit Mia Farrow gerichtlich abgewiesen wurden, die jedoch bei ihrer Version blieb. Sie gilt für Amber Heard, deren mit Verleumdungsklagen ausgetragener Streit um häusliche Gewalt seitens ihres damaligen Ehemanns Johnny Depp Ende 2022 mit einem Vergleich endete.

Wird Spacey seine Karriere nun fortsetzen können? Glaubt das Publikum ihm, wenn er im „Zeit-Magazin“-Interview im Juni freimütig über sein früheres Ich sagt: „Ich habe wirklich versucht, kein Arschloch zu sein. Aber ich glaube, in gewissem Maße war ich ein Arschloch“? Auf immer geächtet werden Männer, die einmal unter Verdacht standen, in der Filmwelt jedenfalls nicht. Johnny Depp lief im Mai in Cannes über den roten Teppich, im Eröffnungsfilm „Jeanne du Barry“ spielte er Ludwig XV. Und die neuesten Werke von Woody Allen und Roman Polanski feiern im September ihre Weltpremiere beim Filmfest Venedig.

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