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„Selbstversuche“ nannte Gabriele Stötzer die 1983 entstandene Fotoserie

© Gabriele Stötzer, VG Bild-Kunst, Bonn 2023, Courtesy LOOCK Galerie, Berlin

Gabriele Stötzer in der Galerie Pankow: Nackte Körper als Zonen des Widerstands

Fotoserien einer unbotmäßigen Frau: Gabriele Stötzer zeigt in der Galerie Pankow Fotoserien, die in den 1980er Jahren in der DDR entstanden sind.

Knallrote Lippen, knallrote Brustwarzen. Die neuesten Arbeiten von Gabriele Stötzer aus flauschiger Wolle und Keramik sind riesengroß und auch farblich voll da. „Ich feiere den weiblichen Körper“, sagt die Künstlerin. Ihre Fotoserien aus den 1980ern kommen dagegen ohne jede Opulenz aus. Allerdings war die Beschränkung der Mittel nicht unbedingt freie Entscheidung. Schwarzweiß fotografieren kostete wenig, die Dunkelkammerarbeit war selfmade.

Und um solche subversiven Arbeiten überhaupt zeigen zu können, war ein handliches Format praktisch. Bei Pop-Up-Präsentationen in den Underground-Zirkeln der DDR ließ sich ein Foto-Leporello flott ausklappen und an die Wand pinnen. Keine Transportkosten, keine Spuren für die immer argwöhnische Stasi. Solche Kunst entzog sich der Kontrolle. Für Gabriele Stötzer war sie eine Überlebensnotwendigkeit: Selbstbehauptung und Selbsterkundung in einem repressiven System.

Gut vierzig Jahre ist es her, dass Gabriele Stötzer zur Kamera griff oder selbst als Performerin davor agierte. Meist nackt. Jetzt steht die Künstlerin, die in Kürze ihren 70. Geburtstag feiert, zwischen ihren Fotoserien aus DDR-Zeiten und erzählt, quirlig wie immer. Man glaubt ihr sofort, dass sie sich nicht so leicht unterkriegen ließ.

Die Ausstellung in der kommunalen Galerie Pankow, gleich am Dorfanger bei der Kirche, konzentriert sich auf die frühen, performativen Zyklen. Die abgeschlossene Werkgruppe passt der Leiterin Annette Tietze gut ins Programm. Fotokunst, insbesondere weibliche DDR-Positionen ist hier häufiger zu sehen.

„Stehgreifspiele“ nannte Gabriele Stötzer die 1982 entstandene Fotoserie mit Birgit Bronnert

© Gabriele Stötzer, VG Bild-Kunst, Bonn 2023, Courtesy LOOCK Galerie, Berlin

Eine Hand presst sich gegen eine Scheibe. Ein Gesicht verformt sich durch den Gegendruck der unsichtbaren Grenze. Das Glas steht zwischen der Akteurin und dem Kameraauge. Aber sichtbar wird es nur durch die Gesten, die gegen die Barriere angehen. In anderen Fotoserien werden Körper ausgewickelt, eingewickelt in weiße Binden, als ginge es darum Verletzungen zu heilen. Immer enger umhüllen die Bandagen die Gliedmaßen, schränken Beweglichkeit ein. Was entsteht, gleicht plötzlich einer Mumie, bei lebendigem Leib.

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Existenzielles und Politisches verschränken sich im Deutungsspielraum dieser Aktionen. Stötzer nannte sie „Stehgreifspiele“. Immer entwickelte sich im spontanen Tun, was die Kamera schrittweise festhielt. Farbe läuft wie Blut über Haut. Mal agieren zwei Frauen im performativen Duett, bis ihre aneinandergepressten Körper zwangsjackenartig zu einer Einheit zusammengeschnürt werden. Mittendrin lachen die beiden.

Offenheit und Verletzlichkeit

Offenheit und Verletzlichkeit werden sichtbar. Dann wieder fragmentiert der knappe Kameraausschnitt die Körper, die ein rissiger Lehmüberzug verfremdet. „Ich wollte halt diese Gesten machen“, sagt Stötzer zu einer der ersten Arbeiten, bei der die befreundete Künstlerin Cornelia Schleime den Auslöser drückte.

Auch deren eigene frühe Fotos sind heute berühmt: Beide Künstlerinnen zählen zu den wichtigsten Vertreterinnen ihrer Generation aus der DDR. In vielen Nachwende-Ausstellungen fehlten ihre Namen allerdings. Die jüngste Kunstgeschichte hat aufgeholt. Nun springen Parallelen zur internationalen Kunstszene ins Auge. Auch andere, etwa Ana Mendieta, nutzten den Körper als Material und Werkzeug. Stötzer wusste davon nichts: Ihre Homebase war Erfurt, tiefe Provinz.

Selbstporträt aus der Serie „Auslöschung eines Blicks, Ich trage meine Wunden offen“ von 1983

© Gabriele Stötzer, VG Bild-Kunst, Bonn 2023, Courtesy LOOCK Galerie, Berlin

Provokant, frivol, mit subversivem Humor und eben „unbotmäßig“ trat Stötzer dort ab 1984 mit einem Kreis jüngerer Frauen in Erscheinung, etwa bei unangepassten Modenschauen. Die Modelle auf ihren Fotoserien bleiben nun bekleidet, in minimalistische Kleider gehüllt.

Aber Freundschaften zerbrachen, viele Aktivitäten wurden von der Stasi unterminiert. Andere Künstler gingen in den Westen. Stötzer blieb. Sie hatte nach dem Protest gegen die Biermann-Ausbürgerung 1977 ein Jahr im Frauenknast Hoheneck verbracht. Diese Erfahrung, zunächst in Texten verarbeitet, wurde zum Ausgangspunkt ihrer widerständigen Kunst. 2013 bekam sie von Joachim Gauck das Bundesverdienstkreuz für ihr Bürgerrechtsengagement. Die erste Besetzung einer Stasi-Zentrale ging auf das Konto der Künstlerinnengruppe Erfurt.

Aber stark sind Gabriele Stötzers Fotoarbeiten auch ohne das Wissen um ihren politischen Kontext. Es ist ihre erste institutionelle Soloschau in Berlin - kaum zu glauben.  

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