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Blick auf die Seine

© imago/PanoramiC

Kolumne „Zeitumstellung“ (Folge 22): Ganz Paris ist ein Buch

Die Bouquinistes am Ufer der Seine sollen vertrieben werden, weil sie ein Sicherheitsrisiko für Olympia in Paris darstellen könnten. Mon dieu!

Eine Kolumne von Rüdiger Schaper

Dass Paris die Stadt der Liebe sei, ist ein sehr schönes und hartnäckiges Gerücht. Woher dieser Name kommt, wissen aber nicht einmal die offiziellen touristischen Websites. Für mich ist Paris die Stadt der Bücher - was wahrscheinlich auch daran liegt, dass mein Französisch nie gut war.

Es hat etwas Magisches, ein Buch in einer fremden Sprache aufzuschlagen. Es ist ein Objekt der Begierde, der Sehnsucht nach einer anderen Kultur, der man näherkommen möchte. Und dafür gibt es keinen besseren Platz als die Quais der Seine mit den Bouquinisten. In ihren grünen Metallkästen stehen sauber aufgereiht die Klassiker der Weltliteratur, darunter auch Obskures. Kunstbände sind ebenso da wie Philosophisches und Reisebücher und Krimis und Comics.

Die Buchhändler sind stolz und charmant

Wie anziehend wirken die (nachgedruckten) Plakate der Tour de France, die Zeichnungen mit Babar dem Elefanten, die Fotos von Jazz-Musikern, die an die große Zeit der Fünfzigerjahre erinnern. Alles Klischees. Aber ich kann dieser Welt, die sich auf den Mauern am Flußufer ausbreitet, nicht widerstehen.

Jetzt sollen diese Heiligtümer verschwinden. Bei der Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele im Sommer stellen sie angeblich ein Hindernis für die Besucher dar, womöglich ein Sicherheitsrisiko. Seit bald drei Jahrhunderten gibt es hier die Antiquare. Sie sind viel älter als die Organisation mit den fünf Ringen und auch nicht so korrupt.

„Nichts ist so sehr Paris wie ein Seinequai“, schrieb Léon-Paul Fargue in seinem legendären „Wanderer durch Paris“, das Walter Benjamin für das beste Paris-Buch hielt. Das ist lange her, und es stimmt insofern, als der Lobgesang auf die hoch gebildeten und wetterfesten, erstaunlich freundlichen Bouquinisten immer noch seine Berechtigung hat.

Kürzlich kaufte ich dort ein schmales Heft, fein gedruckt, mit Erinnerungen der russischen Dichterin Anna Achmatova an den Maler Amedeo Modigliani. Sie sind sich 1910 in Paris begegnet. Der Bouquinist war ein junger Mann und sehr stolz auf diese private Edition, deren Seiten man noch mit Messer aufschneidet.

So viel Sentimentalität tut gut in komplizierten Zeiten, deshalb wollte ich das Büchlein unbedingt haben, dies Souvenir d’amour. Es wird wohl noch verhandelt, aber wenn sie die Bouquinisten abräumen und verjagen, bleibt mir Olympia gestohlen. Es geht sowieso schon länger den Bach runter.

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