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Hier wehklagt jeder auf seine Weise. In der Mitte des 15. Jahrhunderts schuf Juan de la Huerta, Hofbildhauer des Herzogs von Burgund, die Alabasterfiguren für das Grabmal des Johann Ohnefurcht.

© Francois Jay, Dijon

Skulptur: Geteiltes Leid

Streitfall Bode-Museum: Eine bewegende Ausstellung macht den Testlauf und kombiniert Skulptur mit Malerei. Im Mittelpunkt: Die „Weinenden“ aus Dijon, eine Prozession von 37 Alabaster-Figuren aus dem 15. Jahrhundert.

Es ist ein universelles Gefühl, eines, das jeder kennt und das alles andere auszulöschen scheint: Trauer. Vielleicht berühren die Pleurants, die „Weinenden“ vom Grabmal Herzog Jean sans Peur von Burgund, die zurzeit im Bode-Museum als Leihgabe des Musée des Beaux-Arts aus Dijon zu sehen sind, deshalb so sehr. Die 37 Alabasterfiguren des Hofbildhauers Juan de la Huerta aus der Mitte des 15. Jahrhunderts lassen auch den heutigen Betrachter nicht kalt.

Die Klageprozession für den Prinzen besteht aus einem Bischof, Diakonen, Chorknaben und Kartäusermönchen. Jeder Einzelne von ihnen verharrt in einer individuellen Trauerhaltung. Während der Bischof und die Diakone eher gefasst, aber dennoch bedrückt wirken, haben einige der Mönche als Ausdruck tiefster Trauer nicht nur ihr Haupt bedeckt, sondern auch ihr Gesicht mit den großen Kapuzen ihrer Kutten verhüllt. Einer wischt sich mit dem Stoff seines weiten Gewandes die Tränen vom Alabastergesicht, ein anderer reckt verzweifelt die Hände zum Himmel. Einer der Mönche greift sich mit den Fingern an die Nasenwurzel, als sei ihm das alles zu viel, als suche er einen Ausweg vor der unausweichlichen Wahrheit: Der Herzog ist tot. Der Bildhauer hat hier die verschiedenen Arten der menschlichen Trauer darzustellen versucht: grimmige In-sich-Gekehrtheit, haltloses Weinen, stumme Fassungslosigkeit und beinahe regungslose, versteinerte Gesichtszüge.

Der Trauerzug soll für das Seelenheil des Verstorbenen beten. Pleurants an Grabmälern haben seit dem 13. Jahrhundert eine lange Tradition. Das Bahnbrechende der Pleurants vom Grabmals Jean sans Peur besteht darin, dass sie eine Hauptrolle im Zierwerk spielen: Sie schreiten durch Arkaden, auf denen der Sarkophag ruht, und sind nicht wie früher nur Nebenspieler auf einem Relief.

Die 35 Zentimeter hohen Figuren haben eine lange Reise hinter sich: Während ihr Heimatmuseum in Dijon renoviert wird, gingen sie auf Tournee durch die USA, gastierteten unter anderem im Metropolitan Museum in New York. Da die Renovierung länger dauert, war noch Zeit für zwei Stationen in Europa – erst Brügge, jetzt Berlin. Im Februar 2013 sollen die Pleurants nach Dijon zurückkehren.

Ein weiterer der wehklagenden Mönche in der Prozession, die jetzt im Bode-Museum gezeigt wird.

©  François Jay, Dijon

Die Figuren entfalten ihre Wirkung im Bode-Museum auch durch die räumliche Anordnung: Die Prozession führt mitten durch den Raum, in dem auch thematisch verwandte Gemälde präsentiert werden. Gerade vor dem Hintergrund der Diskussion um den möglichen Umzug der Alten Meister ins Bode-Museum setzt die Inszenierung ein deutliches Zeichen. „Diese Ausstellung zeigt denen, die glauben, eine gemeinsame Präsentation von Malerei und Bildhauerkunst sei eine Schnapsidee, dass sie Unrecht haben“, sagt Julien Chapuis, Leiter der Skulpturensammlung und des Byzantinischen Museums. Erst zuletzt hatte Stiftungspräsident Hermann Parzinger betont, dass vonseiten der Staatlichen Museen ein Umzug der Gemäldegalerie gen Museumsinsel favorisiert wird. „Vor dem Hintergrund der gesunkenen Besucherzahlen im Bode-Museum hat der große Erfolg der Ausstellung ,Gesichter der Renaissance‘ gezeigt, dass es die beste Lösung ist, Malerei und Skulptur gemeinsam zu präsentieren,“ erklärte Parzinger. Noch ist nicht entschieden, wo die Alten Meister künftig präsentiert werden – ob sie am Kulturforum bleiben oder einen Erweiterungsbau nahe dem Bode-Museum erhalten – und wo die geplante Galerie des 20. Jahrhunderts ihr Quartier bekommen wird. Zunächst soll die Machbarkeitsstudie im kommenden Frühjahr abgewartet werden.

Im Bode-Museum aber ist gegenwärtig zu studieren, wie gut sich Skulptur und Malerei zueinander fügen. Eine Kopie von Roger van der Weydens „Kreuzabnahme Christi“ sowie andere Kreuzigungs- und Trauerszenen stehen in unmittelbarer Beziehung zu den trauernden Mönchsfiguren. Die gemalten und gemeißelten Gesichter sprechen dieselbe Sprache, die tiefen Falten in den Gewändern der Jünger und Marias wirken beinahe skulptural, während die fein gearbeiteten Gesichter der Mönche wie gemalt scheinen. Trauer verbindet – nicht nur Malerei und Skulptur, sondern auch Menschen über die Jahrhunderte hinweg.

Bis 2. 2.; Di-So 10-18h, Do 10-22 Uhr.

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