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Nur Lumpe sind bescheiden. Werner Herzog in Berlin.

© dpa/Annette Riedl

Götter und Kretins: Werner Herzog beim Literaturfestival

„Landschaft in Trance“ In Berlin spricht der weltberühmte Filmregisseur über seine Bücher und die Rolle der Literatur

Von Gregor Dotzauer

Ein gesunder Größenwahn, wie ihn Werner Herzog pflegt, sortiert das Personal dieser Welt in Götter und Kretins. Zu ersteren zählt er etwa den Philosophen Blaise Pascal, den er zu Anfang von „Lektionen in Finsternis“, seinem Filmgedicht über das flammende Inferno des zweiten Golfkriegs, mit den Worten zitiert: „Der Zusammenbruch der Sternenwelten wird sich – wie die Schöpfung – in grandioser Schönheit vollziehen.“ Es macht nichts, dass Herzog sie schlicht erfunden hat. Pascal selbst, sagt er im Gespräch mit Jan Brandt beim Internationalen Literaturfestival, hätte sie nicht besser formulieren können.

Zu letzteren gehört offenbar Martin Scorsese. Dieser, so Herzog, sei gewiss kein ganz großer Filmregisseur, sondern höchstens ein guter. Da weiß man gleich, wo der Hammer hängt. Selbsterhöhung und gönnerische Erniedrigung treiben bei ihm ein fröhliches Wechselspiel, und auch an Verdammungsurteilen über den unterirdischen Rest, der ihm an den Karren fahren will, fällt noch etwas ab: „Wohin Sie unter Kritikern auch gehen, es knirscht ein Depp.“ Stilles Jauchzen und lautes Johlen im fast ausverkauften Großen Haus der Berliner Festspiele.

Der Mann, der alles kann, und das, was er nicht kann, besser könnte als jeder andere, wenn er es denn nur wollte, teilt aus, ohne dass es ihm jemand übelnehmen würde. Warum sollte man Pascals messerscharfe Grazie nicht heute noch erreichen? Und ist Scorsese nicht tatsächlich nur ein virtuoser Handwerker ohne wirkliche Vision?

Ein bayerischer Anarch

Herzogs grenzenloses Selbstbewusstsein lebt aber nicht vom Rechthaben allein, es zeichnet sich dadurch aus, dass es keinerlei Dünkel kennt. Dieser bayerische Anarch, mit dem kein Staat und keine Gesellschaft zu machen ist, weil er sein eigener Kosmos ist, weiß vieles, vielleicht allzu vieles besser, aber er weiß es nicht im Vorhinein. „Ein tiefes Staunen ist der Anfang aller Lyrik, aller Filme, aller Prosa“, sagt er in mehreren Variationen. Er spricht von unstillbarer Neugier und, auf Englisch, von einem Gefühl der Ehrfurcht: „There’s always a sense of awe!“

Dieser siebte Sinn für die jede menschliche Dimension sprengende Gewalt des Universums prägt sein Kino nicht minder als sein Schreiben, das er als sein wahres Vermächtnis betrachtet: „Meine Filme sind nichts als eine Ablenkung.“ Zu seiner direktesten Stimme, sagt Herzog, dessen archaisch-apokalyptische Bilder unter den eigenen Voice-over-Kommentaren oft zusätzlich erzittern, finde er vor dem leeren Blatt Papier, immer unter der Frage: „Was ist das Theater, in dem wir gefangen sind? Was ist das Geisterhafte unseres Gedächtnisses?“

Ein tiefes Staunen ist der Anfang aller Lyrik, aller Filme, aller Prosa

Der Filmregisseur, Schauspieler und Autor Werner Herzog in Berlin

Herzog, der seinen Filmstudenten seit jeher das Lesen predigt, mit Vergil, Hölderlin und Robert Walser per du ist und Schreibhemmungen angeblich nicht kennt, wäre der ideale Gast eines Literaturfestivals, wenn er selbst im Lauf seines nunmehr 81-jährigen Lebens mehr geschrieben hätte. Seine Wanderprosa „Vom Gehen im Eis“ (1978), die allein es allerdings gerechtfertigt hätte, über „Landschaft in Trance“ zu sprechen, blieb bis ins neue Jahrtausend die einzige selbstständige Veröffentlichung. „Das knallen Sie mir besser nicht um die Ohren“, sagt er zu Jan Brandt, „ich weiß, dass ich schuldig bin.“

Doch er versucht aufzuholen, mit einem Erzählen, das die Literaturmimikry von „I Am Code“, einem Band mit KI-Poesie, dem er im Hörbuch gerade seine Stimme geliehen hat, auf die Plätze verweist. Im Frühjahr erscheint bei Hanser „Die Zukunft der Wahrheit“. Nur Lumpe, heißt es bei Goethe, sind bescheiden. Wie sollte ausgerechnet er dem widersprechen?

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