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Händels "Aci, Galatea e Polifemo" im Berliner Boulez Saal

© Peter Adamik

Händel zum Anfassen: Barockmusik trifft Figurentheater im Berliner Boulez Saal

Der Riese und das Liebespaar: Die Akademie für Alte Musik und das Figurentheaterensemble von Janni Younge bringen Händels Serenata „Aci, Galatea und Polifemo“ zur Aufführung.

Klarer Fall von Machtmissbrauch: Wenn der Riese Polifemo vom oberen Rang des Boulez Saals seinen Liebeszorn hinabschleudert, haben die Aqua- und Faunawesen unten im hölzernen Rund nichts mehr zu melden. Hier agiert ein selbstsüchtiger Herrscher im bossy Outfit. D-Dur, die Trompeten schmettern, so war das bei Hofe in der Barockzeit. Der Bass Luigi de Donato hat manchmal etwas Mühe, die Riesensprünge zu schaffen, die Händel dem tobenden Zyklopen in die Partitur geschrieben hat, bis zu zweieinhalb Oktaven große Intervalle. Für die Einsamkeit des trotz seines Gewaltmonopols vergeblich Liebenden findet er später jedoch innige Töne.  

Vielleicht wird Händels Serenata „Aci, Galatea e Polifemo“ von 1708 auch deshalb selten aufgeführt: Die Gesangspartien verlangen dem Solisten-Trio über knapp zwei Stunden große Virtuosität, ein immenses Ausdrucksspektrum und extreme Tonumfänge ab.  Wenn der Schmerz der Nymphe Galatea (souverän und ergreifend: Sophie Rennert) sich in Koloraturen artikuliert, wenn ihr Lover, der Schäfer Aci (ebenso: Roberta Mameli  –  Barockmusik ist genderfluid) mit schneidendem Trotz dem Zyklopen die Stirn bietet, ist das nur eine Facette dieses an Affekten so reichen Werks.

Unvergesslich bei dieser szenischen Aufführung mit der wie immer formidablen Akademie für Alte Musik unter Konzertmeister Georg Kallweit und der südafrikanischen Figurentheater-Kompagnie von Janni Younge bleiben vor allem jene Arien, bei denen die Action ruht. Allen voran Acis Sterbe-Arie, nachdem der Riese seinen Nebenbuhler mit einem Felsbrocken erschlagen hat.

Fahle Geigen-Striche, behutsame Chromatik, auch aus der Musik entweicht jedes Blut. Letzte Worte, letzte Atemzüge: Roberta Mamelis sublimer, jetzt nicht mehr schneidender, sondern unendlich zarter, stockender und doch funkelnder Gesang wird zum Lamento auf alle Opfer von Gewaltverbrechen.

Der Plot: Galatea und Aci wollen ihre Liebe vor dem eifersüchtigen Polifemo retten. Sie versuchen es erst mit Spott, dann mit Tapferkeit und Kompromissvorschlägen, vergebens. Bis das Paar sich nach Acis Ermordung im Meer vereint: Die Götter haben Acis Blutströme in einen Fluss verwandelt.

Die Tänzer:innen in ihren fließenden Batikgewändern finden sinnfällige Bilder dafür, mal im Kollektiv, mal solistisch, mal als Pas de deux. Die Behutsamkeit des ständig sich neu formierenden Ensembles hat etwas Entwaffnendes. Mit wogenden Tüchern, wedelnden Fischwesen und Kopfpuppen, die von drei, vier Performerinnen geführt werden, bespielen sie nicht nur das elliptische Podium neben den Sängern und den Akademisten, sondern auch die Treppen und Umgänge. Den gesamten Saal möchten sie in einen mythischen Raum verwandeln.

Leider lenkt das unruhige Geschehen häufig ab. Oder es illustriert lediglich, was die Musik ohnehin erzählt, etwa wenn der größte Tänzer Polifemo verkörpert, mit Pirouetten, raumgreifenden Sprüngen und Posen der Hybris.

Oder wenn die Farbästhetik die Elemente verdeutlicht. Die Tänzer:innen um die Meerestochter Galatea sind in blaugrüne Stoffe gekleidet, die Truppe um Aci ist in Naturtönen gehalten. Auch ein Widder- und ein Adlerkopf stehen dem Sohn des Waldgotts bei, wegen der Parabel in Nicola Giuvos Libretto über den Adler, der seine Brut vor der arglistigen Schlange verteidigt. Von der Decke baumeln, als ständige Bedrohung, ein Riesenkopf mit Zyklopen-Glasaugen und zwei Hand-Torsi. Klar, Polifemo kann jederzeit ein- und zugreifen – was alsbald auch geschieht.

Die Nymphe, ein flattriges Wasserwesen: Die Kopfpuppen werden von drei, vier Tänzer:innen geführt.

© Peter Adamik

Der Stoff von Händels Serenata basiert auf einer sizilianischen Sage und auf Ovids Metamorphosen. Er lässt sich ebenso politisch wie poetisch und psychologisch lesen, als Metapher auf das seit jeher gestörte Verhältnis zwischen Mensch und Natur, die sich zugleich grausam und bedrängt sieht.

Das Figurentheater sei per se eine metaphorische Kunstform, da sie dem Unbelebten Leben verleiht, sagt die Multimediakünstlerin und Regisseurin Janni Younge. Vielleicht hat ihre Inszenierung ja doch dazu beigetragen, dass Acis Sterbearie einem so zu Herzen ging, als Ode an die Kostbarkeit des Lebens in dem Moment, wenn es schwindet.

Wie üblich im barocken Musiktheater stehen am Ende die Toten wieder auf und alle gemeinsam besingen die Liebe, die Treue, die Hoffnung. Diesmal gibt’s die beschwingte Versöhnung erst als Zugabe, nach dem enthusiastischen Applaus. Gute Idee.

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