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Man muss ja nicht immer alles gleich machen. Ein Mann zwischen Stuhl und Bett. Aus der Fotoreihe "TABLE ROWING" von Peter Piller.

© Peter Piller

Ausstellung im Mies van der Rohe Haus: Hocken, fläzen, lümmeln

Gefühle für Stühle: Das Mies van der Rohe Haus widmet sich in einer Schau dem Sitzen und Liegen in allen möglichen und unmöglichen Variationen.

Da liegt der Meister der geraden Linie mit wohl gerundeten Körperformen auf einer Steinbank in der italienischen Sonne und döst – die Zigarre in der Hand. Daneben hat der Hamburger Fotokünstler Peter Piller das Bild von einem Erdhaufen gehängt, dessen Wölbungen Hüfte und Bauch des ruhenden Ludwig Mies van der Rohe nachempfinden. Im Hintergrund eine Ziegelwand – das Material, das der Architekt für das Landhaus Lemke am Obersee gewählt hat.
Das Mies van der Rohe Haus im heutigen Bezirk Lichtenberg zieht das 100jährige Bauhaus-Jubiläum 2019 vor und widmet sein Jahresprogramm mit vier Dop-pelausstellungen den Möbelentwürfen von Mies van der Rohe. Mies - Sitzen und Liegen - das Motto der Reihe verspricht eine ungezwungene Herangehensweise. Ausstellungen und Symposien sollen die menschliche Kulturtechnik des sich Nieder-lassens beleuchten. Getreu der Devise, durch den „Rückspiegel von der Gegenwart auf die Moderne des 20. Jahrhundert zu blicken“, kombinieren Wita Noack und ihr Team Werke eines zeitgenössischen Künstlers mit Möbeln von Mies.

Eine Zigarette setzt sich auf ihr Hinterteil

Thomas Ruff wird mit der S-förmigen Hängeliege experimentieren, die japanische Künstlerin Mariko Takagi verbindet die drei gemütlichen Begriffe „Sitzen, Buch und Apfel“ und Sebastian Stumpf setzt sich mit dem Daybed von Mies van der Rohe und Lilly Reich auseinander.

Den Auftakt aber macht das witzige Bildarchiv von Peter Piller, der rund sechzig Fotos zum Thema Sitzen und Liegen gesammelt hat. Hocken, fläzen, lümmeln, abhängen – Piller führt alle Aspekte der Bequemlichkeit vor. Sitzsack und Schleudersitz, Werbung für bandscheibenfreundliche Matratzen, sich wälzende Seehunde. Die meisten Bilder hat Piller in Archiven, auf dem Flohmarkt oder bei eBay gefunden. Nur ganz wenige hat er selbst aufgenommen, den Erdhügel zum Bespiel. Oder das Foto von einer fetten Zigarre, die sich auf ihr Hinterteil gesetzt hat. Ungerahmt als Fries an die Wand gehängt, verdichtet sich in der Serie das Staunen über ungewöhnliche Leibesübungen.

Das Haus denkt über eine Erweiterung nach

Dazu sind vier Stühle von Mies van der Rohe zu sehen. Der Architekt entwarf für das Landhaus Lemke auch das Mobiliar, dafür kombinierte er eigenes Design mit den vorhandenen Möbeln des Ehepaares. In den historischen Fotos sieht man die modernen Entwürfe auf Orientteppichen. Heute sind die Exponate Leihgaben, denn Martha Lemke übergab die Original-Möbel 1984 dem Kunstgewerbe-Museum. Ein Zargenstuhl aus Birnenholz und cremefarbenem Schweinsleder steht jetzt an der gleichen Stelle wie einst Karl Lemkes Schreibtischstuhl. Die Proportionen von Sitzfläche und Lehne, die fast grafische Anmutung, die minimale Neigung der Beine – der Entwurf von Mies unterscheidet sich nur in Details von einem Küchenstuhl, erreicht aber eine stupende Eleganz.

„Rudern an der Tischkante“ stimmt ein auf den humorvoll geistreichen Grundton der Ausstellungsreihe. Mit ihrem präzisen, ums Ecke gedachten Programm hat die Direktorin Wita Noack das Mies van der Rohe Haus inzwischen zu solchem Erfolg geführt, daß die Infrastruktur der kleinen Villa nicht mehr ausreicht für die rund 18.000 Besucher im Jahr. Ein Erweiterungsbau mit Shop und Verwaltungsräumen steht zur Diskussion. Damit soll das privat anmutende Haus entlastet und auch die Nebenräume für Besucher zugänglich werden. Die Ideen für einen Neubau im schönen Garten neben dem Architekturdenkmal sind jetzt schon umstritten. Um die heikle Mission vorzubereiten, ist ein internationales Symposium geplant. Immerhin macht Lichtenbergs Bezirksbürgermeister Michael Grunst den Eindruck, als könnte er Diskussionen aushalten. Im Mies van der Rohe Haus wird Sitzen und Liegen jedenfalls nicht mit Ausruhen enden.

Mies van der Rohe Haus, Oberseestr. 60, bis 1. 4.; Di bis Fr 10– 18 Uhr, Sa / So 11–18 Uhr

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