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Traurige Archetypen statt Welthaltigkeit. Anne Lenks Inszenierung von „Katze auf dem heißen Blechdach“ bleibt in der Vergangenheit gefangen.

© KONRAD FERSTERER

„Katze auf dem heißen Blechdach“ im DT: Wie viel Gegenwart steckt in Tennessee Williams?

Anne Lenk inszeniert am Deutschen Theater „Katze auf dem heißen Blechdach“. Aber eine Aktualisierung des Klassikers will ihr nicht gelingen.

Im Programmblatt zur jüngsten Premiere des Deutschen Theaters Berlin wird die Regisseurin Anne Lenk gefragt, wie sie den knapp siebzig Jahre alten Text, den sie da zur Inszenierung auserkoren hat, „für ein Publikum in Berlin 2023 lesbar, hörbar, spürbar“ machen wolle. Sie gibt darauf eine clevere Antwort. „Mich interessiert ja 2023 auf dem Theater gar nicht“, sagt sie. „Die Welt interessiert mich aber schon.“

Wie viel „Welt“ steckt also in Tennessee Williams’ „Katze auf dem heißen Blechdach“? Jenem well made Broadway-Hit aus den 1950er Jahren, den alle irgendwann mal in der Verfilmung mit Liz Taylor und Paul Newman gesehen haben und in dem am 65. Geburtstag des Plantagenbesitzers Big Daddy die existenziellen Kämpfe ums Erbe und die je eigenen Lebenslügen sämtlicher Familienmitglieder eskalieren?

Anmutung von vergilbten Fotoalben

Die Bühnenbildnerin Judith Oswald hat einen Kasten ins DT gebaut, der wie ein Bilderrahmen wirkt. Dahinter gruppieren sich, stufenweise, immer weitere solcher Kästen. Zusammen mit den farblich abgestimmten Kostümen von Sibylle Wallum ergibt sich daraus eine Art abendfüllende Sepiabraun-Anmutung, die Assoziationen zu vergilbten Fotoalben weckt: ästhetisch zwar in 3-D, ansonsten aber very old school.

Das passt insofern, als das vergilbte Fotoalbum tatsächlich ein adäquater Ort für die Rollenmodelle aus den US-amerikanischen 1950ern ist, die uns in Williams’ Stück begegnen. Hier sind vom Patriarchen Big Daddy, der seine Frau vor versammelter Familienschaft anherrscht, sie solle das Maul halten, bis zu den Schwiegertöchtern Mae und Maggie, deren Erbschaftshoffnungen sich ebenso über Mutterschaft definieren wie ihr weiblicher Selbstwert, alle gut aufgehoben.

Nun will Lenk allerdings – von wegen Welthaltigkeit – kein Yesterday inszenieren, sondern hatte offenbar eher die historische Verlaufsfrage im Sinn: Welche gestrigen Verhältnisse haben uns zu denen gemacht, die wir heute sind? Welche Antiquiertheiten haben wir wirklich hinter uns gelassen, und von welchen glauben wir es nur? Merkwürdigerweise ist das aber nicht, was die Inszenierung erzählt.

Stattdessen tritt das traurige Familienpersonal hier aus dem Sepiabraun gleichsam in eine abstrakte Zeit- und Ortlosigkeit, die plötzlich eine fatale Allgemeingültigkeit suggeriert. So bekommen ausgerechnet Figuren, die man wie die Williams’schen wirklich besser aus ihrer Zeit heraus verstehen kann als von heute, eine Archetypen-Behauptung aufgebrummt, die den Abend äußerst schwierig macht – und streckenweise auch einfach langweilig.

Im gekünstelten Komödienton

Wo etwa sind wir, wenn die Fünffachmutter Mae (Julischka Eichel), die im gekünstelten Komödienton genüsslich auf der Kinderlosigkeit ihrer Schwägerin herumhackt, zur billigen Lachnummer wird, ohne jeden tieferen Erkenntnisgewinn? Wer soll diese Figur sein, und wen soll sie interessieren?

Ulrich Matthes als Big Daddy und Jeremy Mockridge in der Rolle seines Sohnes Brick.
Ulrich Matthes als Big Daddy und Jeremy Mockridge in der Rolle seines Sohnes Brick.

© KONRAD FERSTERER

Miriam Maertens hat als Big Mama zwar mehr Raum, hinter den verbalen Ohrfeigen, die sie für vermeintlich nicht geschlechterrollenkonformes Verhalten an ihre Söhne und vor allem die Schwiegertöchter verteilt, die eigenen Verletzungen sichtbar zu machen. Und Ulrich Matthes zeigt bei seinem Big Daddy hinter der breitbeinigen Patriarchen-Behauptung sowohl den bedauernswerten Halbglatzen-Spießer wie auch den im Grunde seiner Seele nach Liebe winselnden Einsamen.

Häufig misslingt aber auch der Spagat zwischen Komödie und psychologischer Tiefenschürfung an diesem Abend. Die plausibelsten Figuren gelingen Lenk mit Maggie und Brick. Maggie, die um die Liebe ihres Mannes kämpft, der nicht mehr mit ihr schläft, wirkt bei Lorena Handschin tatsächlich erstaunlich gegenwartsdurchlässig.

Dasselbe gilt für Jeremy Mockridge als Brick, der – anders als Paul Newman in der Rolle – statt mit Ekel mit einer Art aufreizenden Indifferenz auf seine Frau reagiert. Da blitzt gelegentlich tatsächlich „Welt“ auf – genau wie momentweise auch im Vater-Sohn-Dialog um verdrängte Homosexualität, den Matthes’ Big Daddy und Mockridges Brick führen. Ansonsten ist wirklich wenig 2023 in diesem Abend.

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